Geschichte
Walter Hotz
(Darmstadt 1966)
Ueberau, Turm und Schiff der Kirche von Nordwesten
Sonderdruck aus dem Heimatboten für die evangelische Gemeinde
Reinheim/Odw." XIII. Jahrgang, 8 ff. mit 4 Tafeln und 6 Abbildungen im Text
(Druck: K. F. Bender, Darmstadt)
Grußwort
Namens des Kirchenvorstandes der Evangelischen Kirchengemeinde Überau und ihres Pfarrers grüßt dieses Heft alle, die sich als Gemeindeglieder und als gute Freunde und getreue Nachbarn" unserer schönen alten Kirche verbunden fühlen; es grüßt aber auch alle, die unser Gotteshaus als Ausflügler und auswärtige Gäste aufsuchen und sich ebenso wie die Gemeindeglieder für die Geschichte der Überauer Kirche interessieren.
Die Niederschrift und Veröffentlichung verdanken wir einem besonderen Glücksfall, daß nämlich Herr Pfarrer Dr. Walter Hotz, Reinheim, durch häufige Vakanz- und Urlaubsvertretungen innige Beziehungen zu unserer Kirche hat und als bekannter Kunsthistoriker besonders berufen ist, die Baugeschichte unseres Gotteshauses abzuhandeln. Er setzt damit als dritter Reinheimer Pfarrer die Kette verdienstvollen Tuns für die Überauer Kirche fort. Pfarrer Johannes Gotzmann (+ 1480), dessen Grabstein in der Taufkapelle steht, hat höchstwahrscheinlich den Umbau der Kirche in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts in ihre heutige Gestalt bewerkstelligt. Pfarrer Alexander Schuchard hat als Reinheimer Pfarrer von 1876 bis 1899 die Pfarrstelle Übe-rau mitversehen, um die Finanzierung der Kirchenrenovierung von 1883/84 zu ermöglichen. Pfarrer Dr. Walter Hotz danken wir sehr herzlich für die Herausgabe dieses Heftes und für seine freundliche Beratung bei den jetzt abgeschlossenen Renovierungsarbeiten.
Unser herzlicher Dank gilt auch dem Architekten, Herrn Jean Pullmann, Groß-Zimmern, den Herren der Bauabteilung der Kirchenverwaltung in Darmstadt, dem Denkmalpfleger, Herrn Dr. Müller, Seligenstadt, und allen beteiligten Handwerkern und Baufirmen, die insgesamt gute Arbeit geleistet haben:
Angermeier, Darmstadt, Kanalisation und Isolierung
Hölzer, Reinheim, Zimmerarbeiten u. Imprägnierung
Held, Reinheim, Dachdeckerarbeiten und Blitzschutzanlage
Schnauber, Reinheim, Klempnerarbeiten
Philipp, Darmstadt, Vergolden des Turmhahns
Enders, Dieburg, Anbau eines Heizungskellers und einer Sakristei;
Bauwerksbefestigung
Betonbaugesellschaft, Frankfurt a. M., ebenfalls Bauwerksbefestigung
Esch, Mannheim, Heizungsanlage
Schmitt, Siedelsbrunn, Lieferung der Sandsteinplatten; Veränderung des
Altars
Justus Liebig, Niedernhausen, Verlegung der Sandsteinplatten
F. J. Dieter, Reinheim, Elektro-Installation
F. Kusterer, Göggingen-Augsburg, Leuchten
Philipp Walter, Uberau, Neu-Aufmauerung des Altars
Friedrich Rothenhäuser, Schreinerarbeiten, Umbau von Empore und Kanzel
Wilhelm von der Schmitt, Uberau, Schmiedearbeiten
Robert Wölfel, Langenselbold, Ausmalung des Kircheninnern und
Restaurationsarbeiten
Münch, Groß Umstadt, Lieferung der bleiverglasten Fenster
Groh, Brensbach, Lieferung der Stühle
Leonhard gen. Johs. Friedrich, Uberau, Außenputz
Bildhauer G. Nonnenmacher, Worms, Entwurf des Altarkreuzes und der
Kerzenleuchter
Glockengießerei Rincker, Sinn/Dill, Gießen von Kreuz und Leuchtern
aus Bronze
Dieses Heft will also jedem Leser das schöne, alte Kirchengebäude
in seinem neuen Gewand lieb und wert machen. Es möge aber auch jeden
Leser einladen, inmitten der feiernden Gemeinde im Gottesdienst den dreieinigen
Gott zu suchen, wie er auf dem Fresko-Gemälde im zentralen Feld des
Chorgewölbes dargestellt ist: der uns in seinem gekreuzigten Sohn Jesus
Christus sein väterliches, liebendes Herz zuwendet und durch den Heiligen
Geist uns gegenwärtig wird mit seinen Gaben und Segenskräften in
Zeit und Ewigkeit.
Ewald Morgenstern, Pfr.
Geschichte und Gestalt der Kirche zu
Ueberau
Die Kirche auf dem Hof der Herrn von Lißberg
Am 23. Dezember 1316 bekundet Werner, Herr zu Lißberg, daß er den Hof im Dorfe Uberau, in dem die Kirche steht, mit zugehörigen Liegenschaften an den Ritter Hartmann von Düdelsheim verkauft hat 1). Der Hof selbst ist an Werner von Reinheim verlehnt. Mit dieser Urkunde tritt Uberau in das Licht der Geschichte. Zu Dorf und Herrenhof steht die Kirche in ursprunghafter Beziehung. Ihre Nachbarschaft zum Hof scheint derart charakteristisch gewesen zu sein, daß sie in einer weiteren Verkaufsurkunde von 1399 2) abermals Erwähnung findet. Da wird vom Hof, auf dem die Kirche steht, gesprochen. Der Hof mit der Kirche befand sich auf einer jetzt durch das Schulgebäude und die Bürgermeisterei begrenzten Bodenwelle, die sich in den Winkel der von den Hundertmorgen herabführenden Brensbacher Straße und der aus der Gersprenzniederung kommenden Hauptstraße schob. Der Platz um die Kirche, der frühere Kirchhof, liegt bedeutend höher als seine Umgebung und war durch Stützmauern abgesichert. Obwohl davon nur ein geböschtes Stück auf der Westseite noch ursprünglich ist, zeichnen sie in der alten Ortsmitte auch heute noch im Großen den Raum ab, dem die Kirche sein Gepräge gab, und der in Not- und Kriegszeiten als letzte umwehrle Zuflucht der Bevölkerung dienen konnte. Wesentliche Teile der Uberauer Kirche reichen in die Zeit der ersten Erwähnung des Dorfes zurück. Diese
Kirche auf dem Hof der Herrn von Lißberg wirft aber auch eine Reihe von Fragen auf. Zunächst: welcher geschichtlichen Lage entsprach eine solche mit einem Gutshof verbundene Kirche? Im Frankenreiche waren Eigenkirchen eine häufige Rechtsform. Ein Grundbesitzer erbaute auf seinem Hofe eine Kirche, über deren Vermögenswerte und geistliche Versorgung der Eigentümer zu bestimmen hatte, allerdings so, daß eine einmal verfügte Dotierung als Kirche nicht mehr aufgehoben werden konnte. Dieses Eigenkirchenwesen hatte aber seit dem Investiturstreit seine Bedeutung eingebüßt, wenn es sich auch in Resten das ganze Mittelalter hindurch und in Form des Patronats-rechtes sogar bis zur Gegenwart erhalten hat.
Ob die Kirche zu Uberau anfangs eine solche von den Herren von Lißberg gestiftete Eigenkirche war, läßt sich nicht mehr sagen. Sehr wahrscheinlich ist es nicht. Dagegen spricht auch ihre Größe und ihre Bauform. Sie könnte eher die Kirche eines klösterlichen Außenwerks, eines Priorats, gewesen sein. Hierfür ist ein gewichtiger Beleg anzuführen, nämlich das Gutachten des Reinheimer Pfarrers Johann Justus Lanz vom Jahre 1741, das er auf Ansuchen des Darmstädter Konsistoriums zu der Uberauer Forderung nach kirchlicher Selbständigkeit zu erstellen hatte 3). Darin heißt es, daß die Uberauer Kirch nur eine zu einem Kloster gehörige Kapell gewesen" sei. Diese Aussage war gewiß nicht aus der Luft gegriffen, wenn uns auch die Quelle, aus der sie geschöpft wurde, nicht mehr bekannt ist. Die Überauer hatten seiner Zeit geltend gemacht, daß ihre Kirche einst eine Mutterkirche gewesen sei, zu der Wersau als Filial gehört habe. Daran ist sicher richtig, daß Uberau und Wersau früher kirchlich zusammengehörten 4). Das bezeugt auch noch das alte Wersauer Türchen" in der Kirchhofsmauer.
Wenn aber ein ursprünglich klösterlicher Gutshof mit Kirche als Anfang von Uberau angenommen werden soll, so ist weiter zu fragen, zu welchem Kloster er gehört haben/, und wie er in die Hände der Herrn von Lißberg, als deren Besitz er ja 1316 begegnet, gekommen sein könnte. Beide Fragen müssen vorläufig unbeantwortet bleiben. Vielleicht gibt die Überlieferung einen Fingerzeig, die von einem untergegangenen Kloster im Reinheimer Gewann Schaubach" weiß 5). Die Herren von Lißberg müßten dann aus dem Grundbesitz dieses Klosters, dessen Vögte sie möglicherweise waren, den Überauer Hof erhalten haben. Das Geschlecht derer von Lißberg (Lisberg) 6) ist auf der Burg dieses Namens in der Wetterau beheimatet und tritt zuerst mit drei Brüdern namens Heinrich, Werner und Hermann im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts auf. Da Werner Kanoniker in Mainz war, wurde die Familie durch Heinrich und Hermann fortgeführt. Werner von Lißberg, der den Hof zu Uberau verkaufte, gehörte zur älteren Linie. Er ist zwischen 1303 und 1336 bezeugt. Wir kennen auch sein Siegel. Im Wappen führte er einen goldenen blaugekrönten und blaubewehrten Löwen auf rotem Grund. Die Herren von Lißberg starben um 1396 aus. Ihre Herrschaft kam an die Herren von Rodenstein. Doch gelangte der Hof zu Überau, dessen Lehensherr zuletzt noch Friedrich von Lißberg war, bald danach käuflich an die Grafen von Katzentelnbogen. Die Mutterkirche des Gerichtes Lißberg war Schwickartshausen. Ihren Kirch-Schatz hatte der Abt von Fulda in Händen. Die Abtei Fulda war auch im nördlichen Odenwald begütert und besaß hier aus der Schenkung Pippins von 766 bis zum Verkauf an die Pfalz im Jahre 1390 Groß Umstadt und den Otzberg. Ob Uberau damit in Verbindung zu bringen ist?
Das Erscheinen der Lißberg im Weichbild des Otzbergs würde mit ihrer Vogtei über fuldische Besitzungen erklärt. Fulda hatte ja eine Propstei im nahen Höchst, die um 1200 mit Augustinerinnen besiedelt wurde, und über die die Herren von Crumbach bis 1332 die Vogteirechte ausübten 7). Doch hatte sich Höchst schon früher aus der alten fuldischen Großmark Umstadt gelöst und eine eigene Großzent gebildet 8). Die Veränderungen des geistlichen Besitzes, die sich seit dem Investiturstreit anbahnten, zogen auch die alten Odenwaldklöster in Mitleidenschaft. Lorsch beendete seine große Rolle, die es seit Karl dem Großen gespielt hatte, 1226, als die Benediktiner die Abtei verlassen mußten, die nach manchen Wirren 1248 in eine Prämonstratenserabtei verwandelt wurde. Amorbach war zu einer Reihe von Veräußerungen von Gütern und Rechten im nördlichen Odenwald in den 60er Jahren des 13. Jahrhunderts gezwungen. Für Fulda nahm der Gegensatz zum einheimischen. Adel krisenhafte Formen an, die 1272 zur Ermordung des Abtes Bertho II. führten 9). Der Landhunger, den die von partikularem Machtstreben erfüllten Gebieter der großen Territorien gerade in der Zeit des Interregnums (125473) an den Tag legten, brachte auch die kleinen Herren dazu, sich Besitzungen und Rechte, die ungenügend geschützt waren, anzueignen. So mag sich im Übergang der Güter zu Überau an die Herren von Lißberg ein Stück Zeitgeschichte spiegeln 10).
Grundriß der Kirche vor 1966 mit den aufgegrabenen Fundamenten des
älteren Baus
Grundriß der Kirche 1966
Bauform und Bauzeit der ersten Kirche
Im Jahre 1939 hat man anläßlich von Instandsetzungsarbeiten an der Kirche verschiedene Suchgräben gezogen. Sie schnitten ältere Mauerzüge an, die sich mit den noch erhaltenen Teilen zu einem merkwürdigen querrechteckigen Bau mit angefügtem rechteckigem Chorraum ergänzten. Das östliche Drittel der Kirche war insgesamt gewölbt und durch drei Bogen gegen den westlichen flachgedeckten und anscheinend nicht unterteilten Raum abgeschlossen. Die trennenden Bogen ruhten auf zwei mittleren Rundpfeilern und zwei äußeren halbrunden Wandvorlagen. Die 2,30 Meter hohen Pfeiler haben im Schaft l Meter Durchmesser. Sie sind in sechs Steinlagen aufgemauert. Basis und Kämpfer werden als Mauertrommeln mittels leichter Kehlung vorgesetzt. Der heute noch freistehende nördliche Rundpfeiler und der zum Teil in die Mauer eingebundene südliche wirken massig und erdverwachsen. Ihre gedrungene Form beeinflußte das ganze Raumbild, um so mehr, als die schweren Bogenfüße der großen Öffnungen gegen den Gemeinderaum, die Gewölbe der beiden Seitenkapellen und die Rundbogen der Chorwand auf ihnen lasteten. So scheinen diese Pfeiler einer älteren Stilstufe anzugehören als die Chorgewölbe. Auch die auf die Steine der Pfeiler eingeschlagenen Steinmetzzeichen: Winkel, Kreise, Hämmer, Kreuze, Halbmonde zeigen Formen, wie sie schon von der Mitte des 12. Jahrhunderts an üblich waren. Es wäre denkbar, daß diese Rundpfeiler und die ihnen entsprechenden Wandstücke der Chormauer, die mit einfachen Kämpfern versehen sind, einem Bauwesen angehören, das um das Jahr 1200 ausgeführt wurde. Von gleicher Art sind die kräftigen Formen des vermauerten Wersauer Türchens" in der Kirchhofsmauer, dessen monolithe Gewände lange Wetzrillen tragen. Ähnlich war auch das Haupttor am Fuße der Kirchentreppe beschaffen. Sein Aussehen ist auf einer maßstäblichen Zeichnung vom Jahre 1884 überliefert11). Der Bogen ruhte auf profilierten Kämpferstücken und war mit einem Karnies abgefast. Durch Erdbewegungen war die Bogenlinie etwas außer Fasson geraten12). Die Profile und Proportionen verweisen auf eine Entstehungszeit gegen 1200. Diesem ersten Bauabschnitt der Kirche sind ferner noch zwei Nischen in den Längswänden des Chors zuzurechnen!, die giebelförmig abgedacht sind 13).
Es entzieht sich unserer Beurteilung, ob dieser erste Bau zügig vollendet wurde. Er müßte kleine Rundbogenfenster und schwere, wohl gratige Kreuzgewölbe mit breiten Gurten besessen haben. Es spricht jedoch manches dafür, daß sich seine Fertigstellung verzögerte, vielleicht im Zeichen der bereits geschilderten geschichtlichen Vorgänge. Jedenfalls ist der Meister, der die Rippengewölbe im Chor in einem zweiten Bauabschnitt in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts errichtete, von Art und Ausdruck jünger. Er selbst oder ein mit ihm zusammenarbeitender Steinmetz schuf auch den plastischen Schmuck: die Blätter und Masken an den Gewölbekonsolen, die Schlußsteine und das Maßwerk der Fenster.
Das Chorgewölbe ist zweijochig. Die Ecken ruhen auf steil abgeschrägten Konsolen. Die abgekanteten Rippen haben rechteckige Füße mit gewellten Abläufen. Die östlichen Konsolen waren mit großen Kopfmasken geschmückt. Die auf der Südseite ist größtenteils abgeschlagen. Welche Bedeutung den Köpfen beizumessen ist etwa, daß es sich hier um den Baumeister und den Stifter der Kirche handelt 14) läßt sich nicht sagen. Die Köpfe wirken streng, das Haar rahmt in gleichmäßigen Strähnen, die beim südlichen Kopf von einem Band zusammengehalten werden, die Gesichter. Viel lebendiger als diese archaiischen Köpfe sind die Efeublätter auf den abgekragten Diensten, die den mittleren Gurtbogen tragen, gezeichnet. Kapitell und Fuß sind damit belegt. Auch die drei Schluß-steine des Chorgewölbes, die mit Rosen versehen sind, stellen tüchtige Arbeiten dar.
Das Kreuzgewöllbe der Turmkapelle ist im Ganzen feingliedriger. Die Rippen liegen auf kantigen Bändern und haben gratige Wulstproflle. Der Schlußstein ist glatt und trug wohl ehedem ein Wappen. In die Ecken der Ostwand sind zwei Säulchen mit mehreckigen Füßen und Kapitellen eingestellt. Die um 57 Zentimeter über dem Fußboden liegenden Basen lassen erkennen, daß hier ein Podest für einen Altar angelegt war. Dazu paßt auch das dort befindliche dreigliedrige Maßwerkfenster, das schönste der Kirche. Die übrigen Maßwerkfenster jener Bauzeit, die die Nordwand der Turmkapelle und die beiden Seitenwände des Chors schmücken, sind alle zweiteilig. Die Figuration des Maßwerks folgt dem gleichen Schema: über Spitzbogen, die mit Nasen besetzt sind, sind Kreise mit Dreipässen angeordnet. Die Stege berühren einander erst und sind noch nicht miteinander verschmolzen.
Der Raum im Untergeschoß des Turms diente als Kapelle. Wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir hier den Marienaltar vermuten, der von einem Frühmesser versehen wurde. Heute steht in dieser Kapelle der Taufstein. An den Wänden haben drei Grabdenkmäler des 15. Jahrhunderts ihren Platz gefunden. Der entsprechende Anbau auf der Südseite war ebenfalls gewölbt und dürfte als Sakristei benutzt worden sein. Er wurde 1653 abgebrochen. Seinen Platz nimmt die neue Sakristei ein. Die Bogenlaibung ist in der Wand im Anschluß an den südlichen Rundpfeiler teilweise noch sichtbar. Sie zeigt die gleiche Führung wie auf der Nordseite.
Die Marienkapelle" könnte schon früh einen niederen turmartigen Oberbau getragen haben. Eine noch bis zur Höhe des unteren Gesimses reichende Ecklisene deutet darauf hin. Doch ist das Gebäude auch turmlos, nur mit einem Dachreiter ausgestattet, vorstellbar 15).
An diese architektonisch eindrucksvoll gegliederten Ostteile der Kirche schloß sich in ganzer Breite ein schlichtes querrechteckiges Schiff an. Zwei Stufen führten vom Chor auf seinen 39,5 Zentimeter unter dem heutigen Fußboden liegenden Estrich, der mit Fliesen belegt war. Bei Ausschachtungen gefundene Bodenfliesen zeigen einfache Kreismuster. Die Decke des Raums war vermutlich flach, die seitlichen Streben des Dachstuhls saßen im Osten auf den Rundpfeilern auf, wo die Ausklinkungen noch sichtbar sind 16). Chor und Schiff waren durch eine lettnerartige (hölzerne?) Schranke zwischen den Rundpfeilern voneinander getrennt.
Das spitzbogige Westportal dieses ersten Baus blieb erhalten. Es wurde im 15. Jahrhundert wiederverwendet. Sein Gewände ist mit einem Birnstab zwischen zwei von Rundstäben begrenzten Kehlen abgefast. Es trägt als Steinmetzzeichen ein gleichschenkliges Kreuz mit verbreiterten Enden. Das Gewändeprofil stimmt fast genau mit dem an der Sakristeitüre der Stadtkirche zu Friedberg überein. Dort ist im Langhaus und an der Westseite auch das große kreuzförmige Steinmetzzeichen vom Überauer Westportal anzutreffen. Eine deutliche Parallele zu den Blätterformen an den Dienstabkragungen im Überauer Chor ist ebenfalls in Friedberg zu finden und zwar am jüdischen Frauenbad, das laut Inschrift im Jahre 1260 erbaut wurde 17). Baudaten für die Stadtkirche sind aus dieser Zeit nicht überliefert, doch läßt der stilistische Befund erkennen, daß das Bauwerk im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts entstanden ist. Um 1260 ist also auch die Überauer Kirche gewölbt und mit Maßwerkfenstern versehen worden. Sie erhielt damit das Aussehen, das heute noch für das Raumbild des Chors ausschlaggebend ist. Die spätere dreiseitige Erweiterung des Chorhauptes hat diese wesentlichen Züge des 13. Jahrhunderts nicht beeinträchtigt.
Es ist nicht verwunderlich, daß die Ausführung der Arbeiten in Überau Friedberger Werkleuten anvertraut wurde. Der Besitzer des Hofes bei der Kirche war ein Lißberg. Die Heimatlandschaft des Geschlechtes liegt im wirtschaftlichen Einzugsgebiet der Reichsstadt Friedberg. Die Erbauung der großen Liebfrauenkirche machte damals die Stadt auch zum Sitz einer Bauhütte. An sie mag sich der Herr von Lißberg gewendet haben, als es darum ging, die Kirche auf dem Hof zu Uberau kunstgerecht zu vollenden.
Dieser Auftraggeber war als Inhaber von Vogteirechten wohl Bertold I. von Lißberg, der zwischen 1266 und 1282 bezeugt ist, vielleicht aber auch schon sein Vater Heinrich, der vor 1266 verstarb. Ein Bruder Heinrichs war Kanoniker in Mainz, ein Sohn namens Werner gehörte gleichfalls dem geistlichen Stande an und ebenso war in der nächsten Generation ein Bruder Werners, welcher den Überauer Hof veräußerte, Mainzer Kanoniker und Pfarrer in Peterweil.
Die eigenartige Gestalt der Kirche zu Uberau, ihr ausgeprägter Chorraum mit den Seitenkapellen, betont die Funktionen des Klerus in diesem Bauwerk. Einer derartigen Bauform, scheint eine ursprünglich klösterliche Prioratskapelle am ehesten zu entsprechen 18).
Die Umgestaltung der Kirche im 15. Jahrhundert
Die Form, die sie unter den Herrn von Lißberg erhalten hatte, dürfte
die Überauer Kirche über 150 Jahre lang bewahrt haben.
Möglicherweise hat man schon im 14. Jahrhundert den Turm über der
Marienkapelle weiter ausgebaut. Andere Veränderungen sind für diesen
Zeitraum am Baubestand nicht abzulesen.
Zu Beginn des 15. Jahrhunderts wird auch der Rang der Kirche klar. Sie ist
parochial mit der benachbarten Stadt Reinheim verbunden und gehört mit
dieser zum Landkapitel Montat des Archidiakonats St. Peter und Alexander
in Aschaffenburg. Wir erfahren auch den ersten Namen eines Geistlichen zu
Uberau in einer Aschaffenburger Urkunde, die zwischen 1441 und 1470 ausgestellt
wurde, und in der die Pfarrer, Rektoren und Vikare des Landkapitels Montat
ihre Testamentvollstrecker bestellen 19). Es ist der Altarist
Johannes Schel-hart. Aus dem Jahre 1480 besitzt die Kirche noch den Grabstein
des Pfarrers Johannes Gotzmann, der in der eben genannten Urkunde bereits
als Altarist zu Reinheim begegnet. Bis 1523 war Georg Nuspicker der Jüngere
Inhaber der Pfründe des Jodocus-altars in Uberau. In diesem Jahre wird
mit einer im Feldlager bei der Belagerung der Ebernburg durch Landgraf Philipp
den Großmütigen ausgefertigten Urkunde 20) Christoph
Libinck aus Reinheim dem Propst zu Aschaffenburg für den Altar
vorgeschlagen. Er hat diese Stelle wahrscheinlich auch erhalten. Das Rein-heimer
Salbuch vom Jahre 1575 erwähnt Herrn Christoffel Liebings Krautgarten,
so etwan ein Altarist zu Reinheim war und allda bürtig" 21).
Im letzten Drittel des 15. Jahrhunderts hat die Überauer Kirche eine
entscheidende bauliche Veränderung erfahren. Der Chor wurde dreiseitig
erweitert, der Turm aufgeführt (oder erhöht), wobei er durch
kräftige Strebepfeiler verstärkt wurde, und anstelle des bisherigen
querrechteckigen Westteils trat ein quadratischer Saal. Er erhielt drei
Eingänge: in der Westwand das wiederverwendete alte Portal und je eine
Tür im Norden und Süden, dazu noch je zwei Maßwerkfenster
in den Längswänden. Die spitzbogigen Türgestelle haben
hübsch profilierte Gewände: Sie werden von zwei Kehlen beiderseits
eines Stabes gerahmt. Die Stabanfänge sitzen auf gemusterten Sockeln,
die Enden durchkreuzen sich, der Bogenbeginn ist durch eine Abzweigung markiert.
Der ausführende Meister hat sein Steinmetzzeichen im Scheitel der Portale
angebracht. Andere Steinmetzzeichen kommen nicht vor, nur die Ecken des
Chorschlusses sind mit 4 etwas über dem Erdboden angebrachten Kreuzen
versehen. Die zweigliedrigen Fenster haben spätgotische Nasen und
herzförmiges Oberlicht, das mittlere Chorfenster zeigt an dieser Stelle
Fischblasen. Im Turmobergeschoß ist das Ostfenster mit einem Kielbogen
unterteilt. Das Gewölbe ist mit schmalen gekehlten Rippen in den neuen
Chorschluß hinein verlängert, wo es auf stumpfen Spitzen in die
Wandwinkel ausläuft.
Den Anlaß zu dieser Umgestaltung boten sehr wahrscheinlich
äußere Ereignisse: Zerstörungen durch Krieg oder Brand
22). Eine Erinnerung daran könnte die abgebrochene und nicht
in voller Stärke erneuerte Mauer an der Südostecke des Schiffes
sein. Wir sind über die geschichtlichen Ereignisse jener Zeit in unserer
Landschaft nur in großen Zügen unterrichtet. Am ehesten ist daran
zu denken, daß die verderbliche Mainzer Stiftsfehde von 1461/62, von
der wir wissen, daß sie die Menschen sehr bewegt hat 23),
auch Uberau in Mitleidenschaft zog. In einer Babenhäuser Kirchenrechnung
von 1528 24) ist davon die Rede, daß von dieser Zeit her
noch Höfe bei Umstadt wüst lagen, weil sie niedergebrannt worden
waren. Dieses Schicksal könnte auch Uberau und besonders den wehrhaften
Kirchturm getroffen haben.
Die Wiederherstellung der Kirche veränderte den Bau, indem sie den
gewandelten Verhältnissen Rechnung trug. Aus einer Kirche, die so angelegt
war, daß sie hauptsächlich einer geistlichen Körperschaft
dienen konnte, wurde eine Dorfkirche.
Die Altäre
Zwei Altäre sind uns in Uberau bezeugt: der Jodocus- (oder Jost-)Altar und der Marienaltar. Den Marienaltar haben wir in der Turmkapelle anzunehmen. Der Hauptaltar im Chor war wohl dem hl. Jodocus geweiht, der wahrscheinlich auch der Kirchenpatron war. Sein Präsentationsrecht nahm 1523 der Landgraf wahr. Später (oder auch schon früher?) muß es in Händen der Mosbach von Lindenfels gewesen sein, denn 1578 verzichtet Hans Endres Mosbach zugunsten des Landgrafen auf das Patronat. Der heilige Jodocus (Jost) gehört zu den Pilgerheiligen. Seiner Legende nach entstammte er einem bretonischen Fürstenhaus. Er sollte die Nachfolge seines Vaters antreten, lehnte aber die Krone ab und floh in die Einsamkeit, wo er als Mönch lebte. Die spätere Benediktinerabtei St. Josseline-sur-Mer geht auf eine von ihm gegründete Einsiedelei Runiac zurück. Jodocus starb um 669. Seine Verehrung wurde in Deutschland vor allem im 9. Jahrhundert durch das Eifelkloster Prüm verbreitet. Sein
Tag ist der 13. Dezember. Auffallenderweise besaßen außer der
Überauer Kirche auch die Nikolauskirche in Reinheim und die Jostkapelle
bei Niedernhausen ein Jodocuspatrozinium.
Dargestellt wird Jodocus in Pilgertracht: mit Schuhen, engen Beinkleidern,
langem oder gegürtetem Rock, Umhang und breitkrempigem, vorne aufgeklapptem
Hut 25), ähnlich dem Apostel Jacobus dem Älteren und
auch dem Hirtenheiligen Wendelin, mit dem er öfter verwechselt wird.
In der Odenwaldlandschaft finden wir ihn auf einem um 1510 geschnitzten
Flügel des Altarschreins in der Lau-rentiuskapelle vor dem Spitzen Turm
in Miltenberg. Es ist anzunehmen, daß sein Bild auch in der Überauer
Kirche, etwa im Rahmen eines Altaraufsatzes, wie ihn die Nikolauskirche
besaß, vorhanden war. Erhalten ist davon nichts, wie auch ein vermutlich
in der Marienkapelle aufgestelltes Marienbild untergegangen ist.
Die Malereien im Gewölbe
Ursprünglich waren Wände und Gewölbefelder des Chorraums bemalt. Man hat schon 1939 vergeblich nach Resten solcher Fresken unter der Tünche gesucht. Aus dem Bauvertrag von 1665 wissen wir aber, daß die Wände und das Gewölbe argen Schaden erlitten hatten und die Tünche abgeblättert war. 1758 machen der Pfarrer und Inspektor von Reinheim, sowie der Amtmann von Lichtenberg in einem Kollektengesuch darauf aufmerksam, daß die Orgel von dem bei offenen Dach eingefallenen und durch das Gewölbe eingedrungenen Regen verdorben worden". So war mit Resten von Wandmalerei nicht mehr zu rechnen. Um so größer war die Überraschung, als bei den jüngsten Arbeiten in drei Gewölbefeldern des Chorjoches größere Farbflächen zum Vorschein kamen, die zum' Teil noch figürlich intakte Teile zeigten, und die im wesentlichen auch ikonographisch bestimmbar sind. Das westliche Feld zeigt einen Gnadenstuhl", das heißt Gottvater sitzt auf einem Thron und hält mit ausgebreiteten Armen den gekreuzigten Christus. Der fleischfarben gemalte Kopf Gottvaters, den ein ehedem wohl vergoldeter Nimbus umgibt, ist mit Mund, Augen und Nase gut zu erkennen, ebenso die Arme, die das rostbraune Kreuz mit dem Leib des Heilandes tragen. Der stark geneigte von einem Heiligenschein umrahmte Kopf Christi und die Gliedmaßen sind recht ausdrucksvoll. Von einer kreisrunden Scheibe vor der Brust Christi gehen Strahlen aus; über dem Kreuz war die Taube des heiligen Geistes zu sehen.
Die beiden anschließenden Gewölbefelder bringen die Evangelistensymbole. Im nördlichen Feld konnte ein verhältnismäßig gut erhaltener Engel, Matthäus, freigelegt werden. Breite Flügel bedecken einen großen Teil der Fläche. Vom Adler des Johannes sind nur geringe Spuren übrig. Im südlichen Feld stehen die geflügelten Tiere des Lukas und des Markus: Stier und Löwe, einander gegenüber. Alle Symbole halten Spruchbänder. Vermutlich trug auch das östliche Feld eine bildliche Darstellung. Sie ging bei der Anfügung des spätgotischen Chorgewölbes verloren.
In die beiden östlichen Mittelfelder sind zwei Rosetten gemalt worden. Die Zwickel zwischen den Fenstern zeigen rotbraune Konsolen. Das Rosenmotiv ist in der Kirche besonders häufig. Auch das Gewölbe der Marienkapelle im Turm war mit kleinen Rosen bemalt.
Der Erhaltungszustand der Fresken im Chorgewölbe erschwert ihre Datierung. Sie gehen jedenfalls vor den spätgotischen Umbau zurück. Die Haltung des Kruzifix im Gnadenstuhl entspricht der Auffassung der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts. Der frontale Engelskopf könnte noch etwas älter sein. Die Rosetten im Chor dagegen sind erst um 1500 entstanden zu denken.
Der Taufstein
Von alter beweglicher Ausstattung blieb nur der Taufstein übrig, ein kufenförmiges Becken aus gelbem Sandstein, 62 X 72 cm messend, dessen Außenwände mit einfachem Maßwerk relief verziert sind. Aber es wurde der Kirche entfremdet, stand lange Zeit alsTränke imFreieni und gelangte vor 66 Jahren an das Landesmuseum zu Darmstadt, wo es heute noch magaziniert ist. 1952 durch Pfarrer Dr. Ludwig Hahn unternommene Versuche, es zurückzuerhalten und sei es nur als dauernde Leihgabe, waren erfolglos. An seiner Stelle erhielt Überau 1953 dank dem Entgegenkommen des Kirchenvorstandes zu Neunkirchen von dort einen alten Taufstein, der lange Zeit auf dem einstigen Kirchhof gestanden hatte. Er wurde gereinigt und mit einer Kupferplatte abgedeckt, die samt Taufschale und Deckel von Jean Pullmann entworfen und durch Heinrich Boos ausgeführt wurde. Dieser Taufstein des frühen 13. Jahrhunderts bildet ein rundes Becken. Als einzigen Schmuck weist er eine umlaufende von Stäben begrenzte Kehle auf. Seit 1954 dient er in der Turmkapelle, die zugleich Sakristei und Läutestube war, seiner Bestimmung.
Der Chor der Ueberauer Kirche
Das soll auch sein künftiger Platz sein. Doch wird er, nachdem das Läutewerk elektrisch betrieben wird und die Sakristei in dem neuen Anbau auf der Südseite des Chors untergebracht ist, die Mitte des Raums einnehmen und der Kapelle ihren Namen geben. Der Taufstein steht dann auf einem alten Steinsockel aus Platte und Wulst, der noch aus der mittelalterlichen Kirche herrührt und bis 1966 den Pfosten der Kanzel getragen hat.
Die Grabdenkmäler
Die Taufkapelle enthält auch die drei Grabdenkmäler des 15. Jahrhunderts, welche der Kirche verblieben sind. Sicher wurden hier wie anderwärts ortsansässige Adlige und Kleriker nicht auf dem benachbarten Friedhof, sondern in der Kirche bestattet.
Da sind zunächst die beiden Steine eines adligen Ehepaars, die an der Nordwand Aufstellung fanden. Beide Denkmäler sind in den Abmessungen, in der Auffassung und im Stilcharakter völlig gleich leider auch im angegriffenen Erhaltungszustand. Sie müssen lange dem Wetter ausgesetzt gewesen sein, so daß der rote Sandstein schicht/weise angenagt erscheint. Sie sollen links vom nördlichen Seitenportal gestanden haben. Erst 1939 wurden sie in der Turmhalle eingemauert.
Die 80x183 Zentimeter großen Steine waren ursprünglich farbig behandelt. Am Grabdenkmal des Mannes kann man noch Farbspuren erkennen: vor rotem Grund hob sich die dunkel, fast schwarz, gehaltene Rüstung ab. Die Reliefs der Personen stehen frontal in einem muldenartig vertieften Feld. Der Mann trägt Rüstung, einen Helm mit hochgeklapptem Visier, ein Zwei-händerschwert und einen Dolch, die Frau einen langen Mantel und eine Haube. In ihren zum Gebet gefalteten Händen hält sie einen Rosenkranz. Beider Wappenschilde sind im unteren linken bzw. rechten Teil angebracht.
Bedauerlicherweise sind die lateinischen Inschriften nur noch teilweise lesbar. Sie lauten (unter Auflösung der Abkürzungen): anno domini mcccc..... ..... anima requiescat in pace. Zu deutsch: Im Jahre des Herrn 1439 am Tage nach (folgte Datum nach dem Heiligenkalender) starb ... (Ritter?) (Sin)olt und wurde hier begraben. Seine Seele ruhe in Frieden. Im Jahre des Herrn 1438 (oder 1435) ... des Apostels Thomas starb Barbara von ??? deren Seele in Frieden ruhen möge. Es handelt sich somit um einen 1439 verstorbenen Sinolt, dessen Wappen eine silberne Hirschstange in blau zeigt2A) und seine 1435 oder 1438 um den Thomastag (21. Dezember) verstobene Ehefrau Barbara. Ihr Stammwappen, ein mit zwei Balken belegter Schild, ist noch nicht gedeutet.
Besser erhalten ist die 102x196 Zentimeter messende Grabplatte des Pfarrers Johannes Gotzmann"), die die Gestalt des Verstorbenen mit dem Kelch unter einem mit Krabben besetzten und in einer Kreuzblume endenden Baldachin in eingemeißelten Umrißlinien zeigt. Sie wurde erst 1966 hierher versetzt und bei dieser Gelegenheit gereinigt, wobei auch die vorher nicht zu entziffernden Worte fides, spes, caritas über dem Baldachin zum Vorschein kamen. Die Randinschrift lautet: Anno domini ... .... in pace amen; übersetzt heißt das: Im Jahre des Herrn 1480, auf das Fest der Geburt Maria (8. September) starb der ehrenwerte Herr Johannes Gotzmann, Pfarrer dieser Kirche. Seine Seele ruhe in Frieden. Amen. Die Worte neben dem Baldachin : Glaube, Hoffnung, Liebe, nehmen Bezug auf 1. Kor. 13, 13a.
Dieser schöne Stein gibt aber auch ein Problem auf. Johannes Gotzmann wird hier pastor huius ecclesie", Pfarrer dieser Kirche, genannt. Nach der rechtlichen Stellung von Überau könnte er dort aber nur Altarist gewesen sein. Pfarrort war Reinheim. Auch die Taxenverzeichnisse des Landkapitels Montat von 1401/03 und 1510 führen nur einen Pfarrer in Reinheim und dazu einen Vikar auf. Die Reinheimer Pfarrkirche war damals die Nikolauskirche. Daß der Grabstein von dort nach Überau gebracht wurde, ist ausgeschlossen. Johannes Gotzmann, der schon vor 1470 als Altarist zu Reinheim begegnet, kann als Pfarrer nur Inhaber der Pfarrei Reinheim gewesen sein. Aber es wäre denkbar, daß er sich besonders um die Uberauer Kirche verdient gemacht hat, etwa, daß er der Urheber der Umgestaltung war, und daß er darum auch hier seine letzte Ruhestätte fand, oder, daß an der Nikolauskirche 1480 gerade gebaut wurde und seine Beisetzung dort nicht stattfinden konnte. Ganz gelöst wird durch diese Vorschläge das Problem nicht, denn auch die erwähnte Präsentationsurkunde von 1523 nennt die Kirche zu Uberau wieder eine Pfarrkirche".
Die Kirche von der Reformation bis zur Gegenwart
Als Landgraf Philipp der Großmütige 1527 die
Reformation in der Obergrafschaft Katzenelnbogen durchführen
ließ, wurde auch Überau als Filial von Reinheim evangelisch. Ob
die Kirche aus diesem Anlaß Veränderungen erfuhr, wissen wir nicht.
Es scheint, als habe man sie in den ersten Jahren überhaupt nicht mehr
benutzt und, wie es auch anderenorts mit überflüssigen Kapellen
geschah, dem Verfall preisgegeben. Die dort sicher vorhandenen Bilder auf
den Altären sind vermutlich zerstört worden. Pfarrer Lanz schreibt
1741 in dem schon erwähnten Gutachten, daß die Überauer Kapelle
seit der Reformation Lutheri wüst gestanden" habe 28).
1577 taucht die Uberauer Kirche zum ersten Mal in den Akten auf. Pfarrer
Christoph Höver läßt in diesem Jahr die zwei Kirchen zu Reinheim
und zu Uberau durch den Dachdecker besteigen, kosten 40 fl
(Gulden)"29).
Man war also gewillt,dieKirche zu erhalten. 40 Jahre später hören
wir wieder von Bauarbeiten, als Pfarrer L. Hirsch berichtet, er habe die
Uberauer Kirch wieder lassen ins Trockene stellen und ist ein halb Quartal
vom Kirchendach aus Mangel an Geld und Schieferstein nur mit Borten beschlagen"
worden. Gleichzeitig wird auch die Friedhofsmauer erneuert und die große
Treppe aufgeführt30).
Am 16. Mai 1578 verzichtet Hans Endres von Mosbach auf seine Kollaturrechte am Marien- und Jostaltar in Reinheim und Überau. Das Patronat hat von da an ausschließlich der Landgraf inne. Die Dotierung der Altäre erfolgte einst mit Grundbesitz, dessen Erträgnisse zur Bestreitung der Sach- und Personalausgaben der Kirche dienten. Von den Zehnten stand der des Marienaltars dem Pfarrer als Besoldungsanteil zu, der des Jostaltars aber gehörte dem Landgrafen. Die Kirche besaß in Überau eine Reihe von Liegenschaften. Ihre bedeutendste war der Heiligen- oder Kastenhof, der in Erbpacht verliehen war. Er wurde erst zwischen 1829 und 1845 in vier Teilen zu je 35 Morgen verkauft. Das Hofgebäude lag gegenüber der Kirche in der Hauptstraße (Nr. 22). Der Name Heiligenhof" bedeutet: Hof des (oder der) Heiligen, das heißt des hl. Jodocusi. Seine Einkünfte waren zur Unterhaltung des Hauptaltars bestimmt. In protestantischer Zeit sprach man vom Kastenhof", weil der Kirchenkasten, die örtliche Kirchenkasse, dieses Vermögen verwaltete. Kastenmeister" ist die alte Bezeichnung für den Kirchenrechner.
Bis zum Jahre 1611 haben die Gottesdienste der Gemeinde Reinheim abwechselnd in der Nikolauskirche auf dem Berge und in der Überauer Kirche stattgefunden31). Nachdem nun Reinheim 1610/11 eine neue Kirche in der ummauerten Stadt erhalten hatte, sank die Nikolauskirche mit der Zeit zur Friedhofskapelle herab, was zu ihrem späteren Untergang führte 32), während die Überauer Kirche ausschließlich den Einwohnern von Überau zu den Uberauer Leichenbegängnissen und anderer Predigt nach vereinbarter Gelegenheit" überlassen blieb.
Der 30jährige
Krieg fügte der Kirche wie dem Dorf schweren Schaden
zu, auf dessen Behebung man nach Friedensschluß bedacht sein mußte.
1653 schloß Pfarrer Johann Adolph Rühel mit dem Zimmermann Michel
Oßwald, dem Maurer Hans Baum und dem Frankfurter Schieferdecker Jost
Jung Verträge über die Instandsetzung des Kirchendachs und die
Herrich tung der Außenwände33). Damals ist auch die
südliche Sakristei, die der Turmkapelle entsprach und
Preßkammer" genannt wurde, abgebrochen worden. Über ihren
Zustand erfahren wir aus dem Vertrag mit dem Maurer, daß das
Dach auf der Preßkammer, so eingefallen, vollends abzuheben, das
Gemäuer und Gewölb abzubrechen, die Bogen zuzumauern, die Fenster
in den ganzen Bogen zu setzen" seien. Als Bezahlung waren vereinbart: mit
dem Zimmermann 15
fl
, l
Malter
Korn, 2
Maß
Wein und Brot zum Richtfest, mit dem Maurer 15
fl, l Malter Korn, 2 Maß Wein und Brot, mit dem Steindecker nach Beendigung
der Arbeit 20 fl und an Martini 1654 nochmals 10 fl. In dieser letzten Summe
war aber auch die Reparatur von Chor und Turm der Nikolauskirche
einbegriffen.
In den 60er Jahren des 17. Jahrhunderts waren neue Erhaltungsarbeiten notwendig.
Vor allem machte das Kirchendach Sorgen. Der Tiroler Maurermeister Alban
Stubmayr erhielt 1665 den Auftrag, das Dach mit Hohlziegeln neu zu decken,
die Fenster einzuspeißen, für die Kanzel einen steinernen Stock
und Treppenstufen zu mauern sowie das zerbrochene Pflaster auszubessern.
Größere Veränderungen werden im 18. Jahrhundert nur auf der
Westseite der Kirche vorgenommen. Jahreszahlen am Bogen des
Wersauer Türchens"
und auf einer Inschriffttafel: 1742 und 1774 beziehen sich wohl nur auf die
Kirchhofsmauer. Der Kirchengiebel wird abgewahnt, zwei ovale Fenster
übernehmen die Beleuchtung der 1723 dort errichteten Emporen. Diese
entsprachen dem um die Kanzel geordneten Raumbild einer protestantischen
Predigtkirche. Nicht nur im Schiff wuren solche Emporen eingebaut, sondern
auch im Chor, wo 1750 die alte Reinheimer und 1844 die zweite Orgel ihren
Platz fandem.
1883 mußte die Kirche baupolizeilich geschlossen werden. Man hatte
Schwamm im Gebälk festgestellt. Die Wiederherstellung fand unter der
Leitung von Bautechniker Christ aus Groß Bieberau statt. An den Arbeiten,
die bis 1884 dauerten, waren beteiligt: Johann Philipp Stühlinger (Maurer),
Georg Stühlinger (Zimmermann), Georg Stuckert (Weißbinder), Karl
Wörtge (Glaser), sämtlich aus Reinheim, Georg Feick (Schreiner)
und A.Poth (Spengler) aus Groß Bieberau, Georg Steinbrecher (Schlosser)
aus Groß Zimmern und Dachdecker Nessel aus Seligenstadt. Die Kosten
waren auf 9500 M veranschlagt, beliefen sich aber schließlich auf 13
000 M. Das Oberkonsistorium gewährte einen Zuschuß unter der
Bedingung, daß die Pfarrstelle Überau 12 Jahre lang unbesetzt
blieb und von Reinheim aus mitverwaltet wurde. Dieser Aufgabe unterzog sich
der damalige Reinheimer Pfarrer Alexander Schuchard und trug so durch seine
Arbeitskraft zur Wiederherstellung der Überauer Kirche bei.
Die 1883/84 durchgeführte Erneuerung beließ die Disposition des
Kirchenraums. Doch wurde die Decke des Schiffes in der Mitte erhöht
(gewölbt", wie man sich ungenau ausdrückte), was sich auf
Akustik und Beheizung nachteilig auswirkte. Die Emporenbrüstung wurde
mit einer neugotischen Blendarkatur versehen. Im Äußeren wurde
der Turm um 16 Fuß (rund 5 Meter) erhöht und erhielt seinen jetzigen
achtseitigen Helm mit vier Gaupen. Am 14. September 1884 wurde die erneuerte
Kirche durch Superintendent Dr. Seil wieder ihrem Gebrauch übergeben.
Die Einweihungspredigt hielt Pfarrer Schuchard.
Bereits 1908 stellte die Kirchenvisitation erneut die Notwendigkeit einer
Behebung von Schäden fest. Man half sich mit Flickarbeiten und
Ausbesserungen. Der 1.
Weltkrieg gebot weiteren Bemühungen Einhalt und in
der Notzeit zwischen den Kriegen gediehen die Pläne nicht zur Reife.
Erst 1939 konnte unter Pfarrer Wilhelm Sehrt eine umfassende Kirchenreparatur vorgenommen werden. Der Innenraum gewann mit seinem alten Charakter auch seine frühere Schönheit wieder, weil die Orgelempore im Chor verschwand und auch der käfigartige Pfarrstuhl" in der Turmkapelle beseitigt wurde. Das Schiff erhielt eine flache Decke. Die gesamte Kirche wurde durch Maler Kienzle aus Aisbach ausgemalt, wobei auch an der Kanzel die Namen der Evangelisten und auf der Südwand ein Spruch (Offb. Joh. 21,3) angebracht wurden. Die Arbeiten kosteten 6163,97 RM; dazu leistete die Frauenhilfe einen Beitrag von 1596,70 RM. Anläßlich der Instandsetzung unternommene Bodenuntersuchungen trugen, wie erwähnt, zur Klärung der Baugeschichte bei.
In den Jahren nach dem 2.
Weltkrieg ließ Pfarrer Dr. Ludwig Hahn einige
Änderungen vornehmen. Sie betrafen die Elektrifizierung des Geläuts,
die Aufstellung des Taufsteins und besonders die Stellung des Altars, der
wieder in den Chor, der bisher neun Doppelbankreihen aufwies, rückte.
Entsprechend wurden die mit dem Blick zur Kanzel angeordneten
Konfirmandenbänke nun der Ausrichtung der übrigen Bänke
angepaßt. Ein neuer Steinaltar, wie ihn Pfarrer Hahn plante, wurde
erst nach seinem Tode nach Entwurf von Holger Stüwe in der Amtszeit
von Pfarrer Heinz Wecht 1960 errichtet. 1962 konnte auch das schadhafte
Kirchendach neu gedeckt werden.
Die nach längeren Vorbereitungen und Verhandlungen unter Pfarrer Ewald
Morgenstern durch den Architekten Jean Pullmann aus Groß Zimmern
durchgeführte Kirchenerneuerung brachte die Anlage einer neuen Heizung,
den Anbau der Sakristei auf der Südseite des Chors, die Einrichtung
des Turmjochs als Taufkapelle und die Neubestuhlung des Kirchenschiffs. Der
Fußboden wurde mit Sandsteinplatten im römischen Verband belegt.
Altar und Kanzel wurden den Proportionen des Raumes angepaßt. Die
unbrauchbar gewordene Orgel wurde abgebaut, was die Freilegung des
südwestlichen Seitenfensters ermöglichte. Die im Raum sichtbaren
Steinteile des Chorbogens, der Gewölberippen und -bogen, der Fenster-
und Türgewände wurden rot gestrichen und zwar im alten Farbton,
wie er unter mehreren Putzschichten gefunden wurde. Die zum Vorschein gekommenen
Gewölbemalereien wurden sorgfältig konserviert. Das gesamte
Äußere erhielt hellen Verputz bei Betonung der Hausteinkanten
und der Gewände. Die neue Verglasung aller Fenster mit Butzenscheiben
dürfte dem ursprünglichen Gepräge des Raumes gemäß
sein. Farbfenster im Chor würden freilich noch stärkere Akzente
setzen.
Dem Altar hat die Überauer evangelische Frauenhilfe ein von Bildhauer
Nonnenmacher in Worms entworfenes und in der Glockengießerei Rincker
in Sinn gegossenes Bronzekruzifix geschenkt. Auch wurden zwei Leuchter und
ein Teppich gestiftet.
Orgel, Uhr und Glocken
Die älteste Überauer Orgel, von der wir Kenntnis haben, stammte aus Reinheim. Sie war 1685 für die Reinheimer Stadtkirche angeschafft worden34). 1750 erhielt Reinheim eine neue Orgel. Das alte Instrument kam nach Uberau, wo es noch bis 1844 Verwendung fand. In diesem Jahre wurde eine neue Orgel erworben, die in Zwingenberg durch den Hoforgelbauer Gottlieb Dietz und dessen Schwiegersohn Johann Christian Rothermel erbaut worden war. Man wußte für sie wie schon für ihre Vorgängerin keinen anderen Platz als den Chor, der durch diese leider häufig angewendete Veränderung seine alte liturgische Funktion ebenso wie seine Schönheit einbüßte. Erst 1939 wurde die Orgelempore im Chor abgebrochen und die Orgel auf die Westseite versetzt. Dort stand sie bis 1965. Die neue Orgel wird auf der Nordempore ihren Platz finden. Sie soll in 2 Manualen und Pedal 10 Register umfassen.
Eine Uhr befand sich bereits im 18. Jahrhundert auf dem Kirchturm. Sie wurde
1771 angeschafft. Ein Gewichtstein trägt noch diese Jahreszahl.
An Glocken besaß Überau zunächst nur zwei. Eine davon mußte
1647 an die Franzosen als Brandschatzung abgeliefert werden. Aber auch die
verbliebene hat zuletzt gar dunkel und raßlicht geläutet"
35). Sie wurde eingeschmolzen. In der Osterwoche 1659 konnte wieder
eine neue Glocke auf den Überauer Turm gebracht werden. Sie war zusammen
mit 9 weiteren Glocken, von denen 3 nach Reinheim kamen, wo sie heute noch
hängen, von wandernden Glockengießern aus Lothringen namens Stephan
Brunkeler und Johannes Arnold, in Reinheim gegossen worden. Diese Glocke
blieb 146 Jahre in Benutzung. Am 22. Mai 1805 zersprang sie beim Begräbnis
des Bäckermeisters Johann Philipp Bauer. Noch im gleichen Jahre wurde
durch die Gebrüder Barthels in Frankfurt eine neue größere
Glocke gegossen. 1864 kam eine zweite Glocke aus der Gießerei Georg
Hamm in Kaisers-lautern dazu. Doch waren die Glocken schlecht aufeinander
abgestimmt. Die größere Glocke sprang 1884, so daß man sich
schließlich zum Jahre 1900 entschloß, ein neues Geläut
anzuschaffen. Die Glocken, wurden von Andreas Hamm in Frankenthal gegossen
und waren auf den Dreiklang fis, ais, eis abgestimmt. Sie wogen zusammen
1159 Kilogramm. Im 1. Weltkrieg brauchte sie die Gemeinde nicht abzuliefern,
aber 1941 mußten 2 Glocken abgenommen wer-dem. Sie wurden in das zentrale
Glockenlager in Hamburg verbracht, das mehreren Bombenangriffen und
Plünderungen ausgesetzt war. Von Hamburg kam 1947 nur eine Glocke wieder
zurück. Die große Glocke wurde von Bacherb in Kochendorf neu gegossen.
Sie hat den alten Schlagton fis. Am 18. November 1951 wurde sie durch Dekan
Baumann geweiht und erhielt die Inschrift: Den Gefallenen und Vermißten
zum Gedächtnis. Joh. 15, 3.
*
Sieben Jahrhunderte haben zur Gestaltwerdung der Überauer Kirche beigetragen. Doch soll uns das ehrwürdige Bauwerk nicht nur ein Denkmal dieser Formentfaltung und ihrer herben Schönheit sein, sondern auch ein Zeichen, daß an dieser Behausung des Glaubens die Gnade des Herrn nicht vergeblich war. Sie hat in guten und bösen Zeiten Menschen befähigt, aus der Kraft des Gebets, aus Wort und Sakrament, zum Lobe Gottes ihr Leben und seine Aufgaben zu meistern.
Anmerkungen:
1) K. E. Demandt, Regesten der Grafen v. Katzenelnbogen, 4 Bände, Wiesbaden
1953 ff, Nr. 6310.
2) Demandt, Regesten, Nr. 2176.
3) W. Hotz, Reinheimer Kirchen in alter Zeit, Darmstadt 1963, Seite 41.
4) Beide Kirchen waren mindestens seit dem 15. Jahrhundert Filialkirchen
von Reinheim. Wersau wurde 1563 Pfarrei, Überau 1819.
5) Siehe unten: Sage Nr. 21.
6) W. Möller, Stammtafeln westdeutscher Adelsgeschlechter im Mittelalter,
Band III, Tafel 96.
7) H. Weber (Herausgeber), Höchst im Odenwald, Festschrift 1956.
8) Handbuch der Historischen Stätten Deutschlands, IV, Hessen, Stuttgart
1960. Artikel Breuberg, Höchst, Um-stadt.
9) Historische Stätten, IV, Artikel Fulda.
10) Die Sage (siehe unten) behauptet auch, daß die Reinheimer
Nikolauskirche zu einem Kloster gehört habe, und daß das
Reinheim-Uberauer Kirchengut aus dem Vermögen eines untergegangenen
Klosters gebildet worden sei.
11) Die Kunstdenkmäler des Landkreises Dieburg, bearbeitet von M.
Herchenröder, Darmstadt 1940, Seite 288 (Abb.).
12) Leider wurde dieses originelle Tor um 1900 abgebrochen und durch einen
rechteckigen Rahmen ersetzt.
13) Sie kamen erst 1939 zum Vorschein, die nördliche war verändert
worden. Siehe Abb. im Kunstdenkmälerinventar, Seite 287.
14) Die Baumeisterdarstellung dieser Art ist häufig. K. Gerstenberg,
Die deutschen Baumeisterbildnisse des Mittelalters, Berlin 1966.
15) Die gelegentlich geäußerte Meinung, die Kirche müsse
früher zwei Türme gehabt haben, verkennt den Charakter des
Bauwerks.
16) Nach Wegnahme der Streben blieben Nischen, wie sie bei der letzten
Instandsetzung sichtbar wurden.
17) Die Kunstdenkmäler des Großherzogtums Hessen, Kreis Friedberg,
bearbeitet von H. Wagner, Darmstadt 1895, Seite 102 ff.
18) Im Grundriß und Volumen verwandt ist die Kirche zu Lindheim in
Oberhessen. Sie besitzt einen breiten dreiseitig geschlossenen Chor und ein
querrechteckiges Schiff von etwa 13,2X9,6 Meter lichter Weite. Vom Hauptraum
sind zwei schmale Seitenschiffe durch je drei spitzboglge Arkaden abgetrennt.
Die Bogen ruhen auf Säulen. Erbaut ist die Kirche durch die Herrn von
Buches 1289, wobei auch hier die starken Rundpfeiler von einem älteren
Bau herrühren können. Kunstdenkmäler des Großherzogtums
Hessen, Kreis Büdingen, bearbeitet von H. Wagner, Darmstadt 1890, Seite
191.
19) Stiftsarchiv Aschaffenburg, U 4279.
20) Ev. Pfarrarchiv Reinheim, Urkunde Nr. 2.
21) Ev. Pfarrarchiv Reinheim, Salbuch 1575, Seite 52 r.
22) So auch Kunstdenkmälerinventar, Seite 280.
23) Ein Denkmal dieser Fehde befindet sich an der Stadtkirche von Groß
Umstadt. Kunstdenkmäler-inventar Dieburg, Seite 127.
24) Ev. Pfarrarchiv Babenhausen, Hospitalrechnung 1528.
25) J. Braun, Tracht und Attribute der Heiligen in der deutschen Kunst, Stuttgart
1943, Spalte 363/5.
26) W. Möller, Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde,
NF XXIV (1952/3), Seite 138.
27) W. Hotz, Reinheimer Kirchen in alter Zeit, Seite 30 f.
28) Ebendort, Seite 41.
29) Ev. Pfarrarchiv Reinheim, Salbuch 1576, Seite 69 v.
30) Ebendort, Seite 69 v.
31) Pfarrer Gg. Sann 1716. Reinheimer Kirchen in alter Zeit, Seite 38.
32) W. Hotz, Reinheimer Kirchen in alter Zeit, Seite 2528, 38.
33) Pfarrer W. Sehrt veröffentlichte im Heimatboten für Reinheim
und Überau" 1940/41 den Wortlaut dieses und der folgenden
Verträge.
34) Stadt Reinheim im Odenwald, das Tor zum Gersprenztal, herausgegeben von
W. E. Schröder, Reinheim 1950, Seite 27 (aus der Reinheimer
Pfarrchronik).
35) Ebendort, Seite 23.
Ueberauer Pfarrer 1819 -1966
Kirche und Gemeinde Überau bildeten jahrhundertelang mit Reinheim eine
Pfarrei. Bereits vor der
Reformation wurde in den Schätzungslisten des Landeskapitels
Montat unter Reinheim" ein Pfarrer und ein Vikar veranlagt, wobei der
St. Jodocus-Altar in Überau noch zusätzlich eine gesonderte Taxe
hatte.
Von der Einführung der Reformation bis zum Jahre 1819 oblag der Dienst
in beiden Orten dem Reinheimer Pfarrer. Doch erhielt Reinheim bereits 1630
eine zweite Pfarrstelle, die damals mit dem Kaplan Nikolaus Vollhard besetzt
wurde. Nach 1635 blieb sie infolge des 30jährigen Krieges dauernd vakant
und konnte erst 1719 als Diakonat" erneuert werden. Der 2. Pfarrer
führte die Bezeichnung Diakon" oder Kaplan", wurde aber
meist Schulpfarrer" genannt. Er wohnte hinter der Reinheimer Stadtkirche
in der Kaplanei" und hatte die dort untergebrachte Schule sowie den
Dienst in Überau zu versehen.
1819 erhielt Überau die Rechte einer selbständigen Pfarrei. Der Inhaber der Stelle hieß Diakonus in Reinheim und Pfarrer von Überau". Es war 1819 - 21 Konrad Jakob Gräuel aus Massenheim. Ihm folgte 1821 Adam Förster, der 1839 seinen Wohnsitz nach Überau verlegte. Längere Zeit leidend, starb er 1858. Von 1844 - 1858 waren ihm folgende Vikare beigegeben: zunächst 1844 ErnstVogler aus Kleestadt, dann 1844 - 49 Friedrich Fischer aus Reinheim, 1850 - 52 Wilhelm Becker aus Gießen, 1852 - 57 Ernst Eduard Kehrer aus Erbach, 1857 - 59 Friedrich Heberer aus Leeheim. 1858/9 hatte Pfarrer Melsheimer in Ober-Klingen das Spezialvikariat Überau inne. Nach ihm war Johannes Hofmeyer aus Schwanheim 1859/60 als Pfarrverwalter tätig.
Erst 1860 wurde die Stelle wieder definitiv besetzt und zwar mit Karl Gustav Friedrich Schneider aus Michelstadt, der von 1828 - 40 als Mitprediger in Michelstadt, von 1840 - 50 als Pfarrer und Dekan zu Biedenkopf und seit 1850 als Pfarrer zu Schaafheim gestanden hatte. Pfarrer Schneider wurde 1863 zum Dekan des Dekanats Reinheim ernannt und erhielt 1864 den Charakter eines Kirchenrats". Doch nötigte ihn seine angegriffene Gesundheit bereits 1867 zur Aufgabe der Dekansgeschäfte, 1874 verlor er ein Auge und bewarb sich um einen Vikar, der ihm in Emil Bernhard, Sohn des Reinheimer Kirchenrats und Dekans Karl Wilhelm Aemil Bernhard beigegeben wurde. Vikar Bernhard mußte aber zugleich seinen Vater in Reinheim häufig vertreten, so daß beide Gemeinden wieder in einer Hand vereinigt waren. Dieser Zustand blieb auch in den folgenden 25 Jahren. Vikar Berhard wurde im Oktober 1876 nach Sandbach versetzt. Kirchenrat Schneider starb am 9. November 1878.
Doch war schon am 13. Oktober 1876 dem bisherigen Dieburger Pfarrer Alexander
Schuchard die Pfarrei Reinheim und am 20. Oktober auch die Versehung des
Dienstes in Überau übertragen worden. Er verwaltete die Pfarrei
Überau bis 1899.
Ueberau, Blick in die Taufkapelle der Kirche
Für die große Kirchenreparatur von 1883/4 wurden laut Verfügung
des Oberkonsistoriums die Erträgnisse der Pfarrbesoldung verwendet,
so daß Überau 12 Jahre lang unbesetzt bleiben mußte. Auf
diese Weise hat Pfarrer Schuchard während seiner 33jährigen Reinheimer
Amtszeit 23 Jahre lang auch Überau versorgt.
1899 erhielt Überau wieder einen eigenen Pfarrer in LudwigStorck, der
aus Ober-Mossau kam. Er trat 1930 in den Ruhestand. 31 Jahre war er in
Überau tätig.
1930/1 wurde Überau durch Pfarrer Dr. Theodor Meisinger, Reinheim,
mitversehen. 1931 wurde Georg Wilhelm Sehrt, vorher in Ober-Klingen, Pfarrer
zu Überau und blieb es bis zu seiner Pensionierung im Herbst 1948. Er
starb 1966 zu Oberstedten im Taunus und wurde am 25. Juni 1966 zu Überau
begraben.
1948/9 war Pfarrer Dr. Walter H o t z , Reinheim, Spezialvikar für
Überau, 1949 übernahm der aus russischer Kriegsgefangenschaft
heimgekehrte Pfarrer Dr. Ludwig Hahn, vorher in Altheim, die Pfarrei
Überau. Er starb infolge eines Leidens, das er sich in Rußland
zugezogen hatte, am 27. Juni 1958 und wurde in Darmstadt beigesetzt.
Während der letzten Monate seiner Krankheit versah wieder der Reinheimer
Pfarrer den Dienst. Nach dem Tode von Pfarrer Hahn wurde Pfarrer i. R. Wilhelm
Schulz, Darmstadt, zum Spezialvikar ernannt.
1959 konnte die Verwaltung von Überau an Heinz Wecht, vorher Pfarrvikar in Offenbach, übertragen werden. Er wurde in Überau definitiv, ging aber schon am 1. Oktober 1963 als Anstaltspfarrer an die Heime der Inneren Mission in Nieder-Ramstadt.
Von dort kam der gegenwärtige Pfarrer der Gemeinde, Ewald Morgenstern, am 1. Oktober 1963 nach Überau.
Sagen aus Reinheim und Ueberau
Von vielen Orten gehen Sagen. In ihnen klingen Erinnerungen an längst vergangene Zeiten und Menschen, an merkwürdige Begebenheiten' oder rätselhafte Erscheinungen an. Naturkatastrophen, Kriegsnöte, Heimsuchungen durch Krankheiten und großes Sterben, Verbrechen und was dergleichen sich zutrug, aber auch die Götter und Geister überwundener Religionen sowie Gestalten*, in denen sich der Aberglaube verdichtet, werden von der Sage berichtet. Viele Sagen reichen in Zeiten zurück, in denen es noch keine schriftlichen Aufzeichnungen gab. Andere sind wesentlich jünger. Immer ist von der Sage ein Wahrheitskern umschlossen. Man soll ihn nicht unbedingt freilegen wollen, oft ist das auch gar nicht mehr möglich, sondern die Sagen so nehmen, wie sie erzählt worden sind. Wie schon der Name sagt, geschah ihre Weitergabe durch mündliche Überlieferung. Es hat sich aber als notwendig erwiesen, solche Sagen aufzuzeichnen, um sie nicht der Vergessenheit anheimfallen zu lassen. Denn heute ist das Erzählen dieser Stoffe nur noch selten üblich. Neben die echten Sagen treten künstliche, das sind erfundene oder erdichtete Sagen, Wenn wir hier die Sagen bringen, die in Reinheim und Überau spielen, so wollen wir nur die berücksichtigen, die als echte Sagen angesprochen werden können.
Die Reinheimer Sagen sind zuletzt im Heimatboten für die evangelische Gemeinde Reinheim", (1963), Nummer 3/4, 5/6, 7/8 und 12 gebracht worden. Dort ist jeweils die Quelle angegeben. Die Uberauer Sagen sind bisher größtenteils ungedruckt. Den Hauptanteil hat Adolf Bernius gesammelt, weitere wußte Christian Seip zu erzählen. Wo mehrere örtliche Fassungen der gleichen Sage vorliegen, ist das angegeben.
1.
Der Kettenhund am Seeweg
a (aus R e i n h e i m)
In dunklen Nächten geht man nicht gerne von Reinheim nach Überau. Da kann es vorkommen, daß man dem Kettenhund begegnet, der dort sein Wesen treibt. Er schleift immer eine Kette hinter sich her, deren Rasseln fürchten macht.
b (aus Überau)
Am Anfang des 18. Jahrhundert waren die Arbeitsverhältnisse ganz anders als heute. Die Leute gingen, wegen der großen Sommerhitze am Tage, meist nachts um l bis 2 Uhr in die Wiesen. Dabei machten einzelne Männer die geheimnisvolle Entdeckung vom Kettenhund. Sie waren am Seeweg zwischen Reinheim und Überau mit Grasmähen beschäftigt. Hier war eine Pappelallee. Durch ein besonderes Geräusch wurden sie aufmerksam. Einige Männer faßten den Mut und gingen hin, nachzusehen. Sie gewahrten in der Dunkelheit, daß sich etwas um die Bäume bewegte, was ein Geräusch verursachte. Zu näherer Untersuchung kamen sie nicht, denn das Wesen war verschwunden. Es kam aber wieder. Man nahm an, daß es ein losgerissener Hund wäre, daher der Name Kettenhund.
c (ebenfalls aus Überau)
Die Leute erzählten sich, in den Seewiesen und auf dem Seeweg würde ein Hund herumlaufen. Er hätte eine schwarze Farbe, wäre so groß wie ein Kalb und um den Hals hätte er eine schwarze, eiserene Kette. Am Tage sähe man ihn nicht. Sobald es aber Abend würde, käme er ins Ort. Hier würde er sein Fressen holen. Wenn er durch die Straßen schleichen würde, rasselte er mit seiner Kette. Niemand hätte ihn aber je gesehen. Wenn kleine Kinder weinten, sagte man ihnen: Sei nur ruhig, sonst holt dich der Kettenhund und frißt dich."
2.
Die feurigen Kohlen vom Pechofenacker
Eine Frau aus Reinheim lag in Wembach krank zu Bette. Ihr Mann ging nach Reinheim, um den Arzt zu holen. Am Pechofenacker sah er ein Feuer. Um seine Pfeife anzuzünden, nahm er nacheinander drei glühende Kohlen und tat sie in seinen Pfeifenkopf. Aber die Pfeife brannte nicht, obwohl sie gestopft war. Darüber wunderte sich der Mann sehr. Als er die dritte Kohle genommen hatte, erschien neben dem Feuer ein großer, schwarzer Hund. Darüber erschrak der Mann sehr, eilte nach Reinheim, erzählte dort dem Doktor die Geschichte und bat ihn, er möge doch anspannen lassen und nach Wembach fahren, weil es am Pechofenacker nicht geheuer sei. Da fragte der Doktor, ob er denn von den Kohlen noch in seiner Pfeife habe? Ja", antwortete der Mann und leerte die Pfeife aus. Da fielen drei Goldstücke heraus. Du Dummkopf", sagte der Doktor zu ihm, du hättest dein Sacktuch auf das Feuer werfen müssen, dann hättest du einen großen Schatz heben können." Die drei Goldstücke aber wurden noch lange aufbewahrt.
3.
Das Rötenherrchen
a (aus Reinheim)
Zwei Reinheimer Frauen gingen am Vormittag zwischen 11 und 12 Uhr den Ober Ramstädter Weg hinaus nach Traisa auf die Kirchweih. Als sie in die Röten kamen, sahen sie im Rötenrech ein kleines graues Männchen hin- und herlaufen. Als sie um Mitternacht wieder von Traisa zurückkehrten und an die gleiche Stelle kamen, erschien ihnen abermals das kleine Männchen. Es ging im Rötenfrech auf und ab, eilte dann nach der Ober Ramstädter Chaussee zu und verschwand in der Hohl, in der Nähe des Friedhofs. Es war das Rötenherrchen.
b (aus Ober Ramstadt)
Ein alter Mann, der ein Güldensonntagskind war, ging einmal am Sonntagmorgen mit seinem Enkel durch den Goldgrund nach Zeilhard. Da sah er in den Wiesen ein kleines graues Männchen. Er sprach zu seinem Enkel: Siehst du dort das kleine Männchen?" Der Enkel aber sah es nicht. Da beugte sich der Großvater zu ihm nieder und sprach: Ich glaub's, daß du's nicht sehen kannst. Komm her und guck mir über die linke Schulter, da wirst du es auch sehen." Der Enkel tat, was der Großvater sagte. Dieser zeigte ihm nun, wo das graue Männchen spazieren ging. Da sah auch der Enkel, was ihm bisher verborgen geblieben war.
4.
Das Klinger Kalb
Im Schweinsgraben zwischen Reinheim und Lengfeld sahen Einwohner, die spät unterwegs waren, etwas laufen. Sie erzählten es in Lengfeld und Reinheim. Am ändern Abend gingen die Leute hin, um es auch zu sehen. Als sie nach Reinheim kamen, sagten sie, im Schweinsgraben wäre ein Kalb herumgelaufen. Jetzt wollten die Lengfelder nicht mehr nach Reinheim und die Reinheimer nicht mehr nach Lengfeld. Dieses Klinger Kalb kennt man auch in Uberau. Wenn einer nach Klingen wollte, sagte man: Paß auf, daß dich das Klinger Kalb nicht kriegt."
5.
Der Mann ohne Kopf
Der Schweinsgraben liegt an der Lengfelder Chaussee. In Uberau sagte man, es dürfe nachts niemals ein Mensch vorbeigehen, denn dort laufe ein Mann ohne Kopf herum.
6.
Die Geister im Schweinsgraben
Die Leute glaubten, im Schweinsgraben würden Geister leben. Ein Mann aus Nieder Klingen fuhr in der Nacht um 12 Uhr von Reinheim mit dem Rad nach Klingen. Als er an den Schweinsgraben kam, stieg ein Geist aus dem Graben. Als der Mann das sah, fiel er auf die Knie und betete. Auf einmal war die schlanke, weiße Gestalt wieder verschwunden. Als er wieder auf das Rad stieg, lief ihm ein bellender Hund in die Quere. Der Hund wollte ihn anfassen, der Mann trat dem Hund gegen die Schnauze, daß er wieder in den Graben zurückflog. Der Mann wagte sich nie wieder vorbei zu gehen. Er glaubte fest an die Geister im Schweinsgraben.
7.
Das Schweinsgrabenherrchen
Der Schweinsgraben zieht sich zwischen Lengfeld und Uberau. Er gehört heute zur Überauer Gemarkung, aber auch Reinheimer Bauern haben dort ihr Feld. Wer nachts von Reinheim nach Lengfeld unterwegs ist, meidet den rechter Hand der Straße gelegenen Schweinsgraben. Es haust dort ein großer Hund. Es kann auch vorkommen, daß man dem Schweinsgrabenherrchen begegnet. Das ist ein altes verhutzeltes Männchen). Es erschreckt die Leute.
8.
Das unheimliche Fuhrwerk
Zwischen Reinheim, und Groß Bieberau begegnete einem Manne ein Fuhrwerk. Den Lenker desselben hielt er für einen der hier ansässigen adligen Herrn. Eine Handbewegung verstand der Ermüdete als Einladung und sprang, ohne sich lang zu besinnen, auf den Wagen auf. Er freute sich, auf diese Weise bequemer ans Ziel zu gelangen. Aber am Schaubacher Weg bogen die Pferde rechts ab. Unter dem Ausruf: Gnädiger Herr, Sie fahren irr!", sprang der Wandersmann vom Wagen herab und fiel zu Boden. Zu seinem Schrecken sah er, wie sich das Fuhrwerk von der Erde hob und in den Wolken verschwand. Roß und Wagen hat man niemals wieder gesehen.
Gnadenstuhl, Deckenbild im Chor der Kirche zu Ueberau
9.
Die Heimkehr des Rodensteiners
Ein Butterhändler aus Steinau hörte in einer stürmischen Herbstnacht 1943, wie der Rodensteiner mit dem wilden Heer unter lautem Brausen und Gepolter heimkehrte. Man hörte ihn nicht nur in der Luft, auch in der Küche klirrte das Geschirr. Manches war sogar durcheinandergefallen. Das war ein Zeichen dafür, daß der Krieg bald zu Ende ging, und daß er unglücklich ausgehen würde. Der Butterhändler erzählte dieses Erlebnis in einer Reinheimer Gastwirtschaft und begründete damit seine Meinung über die Kriegslage. Er wurde bald amtlich vorgelagen, und es wurde ihm bedeutet, daß er seine Gespenstergeschichten für sich behalten müsse, sonst werde es ihm schlecht bekommen. So blieb er künftig stumm, wenn ihn jemand auf den Rodensteiner ansprach.
10. Das weiße Reh
An der Windlücke, wo der letzte Reinheimer Wein wächst, kommt nachts zwischen 12 und l Uhr ein weißes Reh aus dem Wald. Aber nur der kann es sehen, der ein Güldensonntagskind ist.
11. Das Gespenst auf dem Marktplatz
Auf dem Marktplatz von Reinheim kann man in dunklen Neumondnächten ein Gespenst gewahren. Da geht einer um und schleppt eine Last. Man hört ihn auch stöhnen. Er hat zu Lebzeiten einen Setzstein versetzt. Wer das tut, muß nach seinem Tode umgehen.
12.
Die Schlacht bei Reinheim
Dicht bei Reinheim, gegen Spach-brücken/ zu, wurde einmal eine blutige Schlacht ausgetragerv. Zwischen wem, weiß niemand mehr zu sagen. Aber beim Pflügen findet man immer wieder einmal Menschenknocheru Von der Schlacht hat auch das Gewann seinen Namen. Es heißt heute noch Auf der Schlacht".
13.
Die Schwedenschanze
Die erste Kirche von Reinheim war die Nikolauskirche. Sie lag auf einer Anhöhe vor der Stadt. Um die Kirche herum war ein uralter Friedhof. Als die Schweden im Dreißigjährigen Kriege nach Reinheim kamen, warfen sie auf dem Berge bei der Nikolauskirche eine Schanze auf. Für den Bau der Gräben und Batterien verwendeten sie die Grabsteine. So kommt es, daß dort alle alten Grabsteine verschwunden sind.
14.
Das weinende Marienbild
In der Nikolauskirche auf dem Kirch-hofsberge befand sich vor Zeiten ein berühmtes Marienbild. Es war als wundertätig bekannt und wurde darum, von vielen Wallfahrern aufgesucht, die sich von dem Bilde Heilung ihrer Gebrechen oder Hilfe in der Not versprachen. Als in Reinheim die Reformation eingeführt wurde, hörten die Wallfahrten auf. Über diesen betrüblichen Wandel war das Bild so ergriffen, daß es Tränen ver-goß. Über Nacht wurde es darum weggeholt und nach Dieburg überführt.
15.
Warum die Überauer so laute und die Reinheimer so leise Glocken haben
Ehemals hatte natürlich die Stadt Reinheim, die schöneren, lauten Glok-ken. Als nun im 30jährigen Krieg die Kriegsvölker unsere Gegend unsicher machten, raubten und plünderten, besonders aus den Kirchen wegnahmen, was Wert hatte, versenkten die Reinheimer und die Uberauer ihre Kirchenglocken in dem See, der sich einst zwischen beiden Orten befand. Da ruhten sie lange bis der Krieg zu Ende war. Dann wurden die Glocken wieder herausgeholt. Aber die Uberauer waren flinker, sie nahmen sich die größten und die lautesten Glokken. Die anderen kamen auf den Reinheimer Kirchturm. Da man des Kriegs und Streites durch den langen Krieg müde war, man auch nach so langer Zeit nicht mehr wußte, wohin die einzelnen Glocken gehörten, ließ man die Sache auf sich beruhen. So ist es gekommen, daß man die Uberauer Glocken bis nach Reinheim hört, während die Reinheimer nicht einmal in ganz Reinheim gehört werden.
16. Das Pfaffenhaus in Überau
In Überau, das bis zu Beginn des vorigen Jahrhunderts Filial von Reinheim war, stand nicht weit von der Kirche ein Haus, das den Namen Pfaffenthaus" trug. Dort sollen vor der Reformation die Geistlichen des Orts gewohnt haben. Von diesem Haus ging ein Weg durch den Wiesengrund zur Nikolauskirche. Der Weg war gepflastert, sank aber immer tiefer ein, so daß er vor 150 Jahren bereits mehrere Fuß tief unter der Erde lag.
17.
Die Sankt-Barbarakirche
Die Uberauer Kirche war eine Sankt-Barbarakirche. Sie hatte auch eine Quelle, die Sankt-Barbaraquelle. Sie fließt heute noch in dem Hof unterhalb der Kirche. Zur Kirche gehörte ein Kloster. Das lag in der Schaubach, wo heute der Klostergrund ist. Es führte ein gepflasterter Weg dorthin. Als die Wasserleitung seiner Zeit gelegt wurde, stieß man auf das Pflaster.
18.
Die Trewer-Elz
Unterhalb der Hauptstraße, in der früherem Hofreite Dehn, entsprang eine Quelle. Die Alten nannten sie die Trewer-Elz". Sie fließt aber nicht mehr. Die Sankt-Barbaraquelle dagegen fließt noch. . ,
19.
Die schönen Knöpfe
Um die Kirche war der Friedhof. Einen großen Teil davon haben die vom Nachbarhof gekauft und abgeräumt. Die Erde wurde weggefahren. Einmal kam ein Knecht und zeigte seinem Herrn eine Handvoll schöne Knöpfe, die er beim Ausbreiten der Erde gefunden hatte. Als sich der Bauer die Knöpfe näher besah, erkannte er, daß es Goldstücke waren. Er gab dem Knecht eine andere Arbeit, nahm sich den Rechen und fand noch eine Menge solcher Knöpfe.
20.
Das verschwundene Dorf
Wo der Weg nach Klingen vom Rennweg abzweigt, am Kreuz, da lag ein Dorf. Es hieß Hippenheim. Es ist aber schon lange untergegangen. Das, so endete der Erzähler, weiß ich alles von meinem Vater. Heute findet man ja niemand mehr, der für die alten Sachen Interesse hat.
21.
Das Kloster bei Reinheim
Zwischen Reinheim und Groß Bieberau hat in alten Zeiten ein Kloster gestanden. Es lag in der Gewann Schaubach", ist aber schon vor der Reformation aufgehoben worden. Wann und von wem es gestiftet wurde, wer es aufgehoben hat, und welchem Orden es angehörte, ist unbekannt. Die Pfarrei Reinheim soll mit den Gütern dieses Klosters begründet oder aufgebessert worden sein. Die Stelle, an der es stand, heißt heute Klostergrund". Beim Pflügen sollen dort Scherben und behauene Steine gefunden worden sein.
22.
Schinderhannes auf den Hundertmorgen
Der Schinderhannes kam auch in den Odenwald, wenn er gerade auf dem Hunsrück gejagt wurde. Da hielt er sich auf den Hundertmorgen, im Windhof" auf. Er kam aber auch mit seinen Gesellen ins Ort. In der Groß Bieberauer Straße, da stand ein kleines Haus, das war bekannt dafür, daß dort wüste Kerle abstiegen. Dort traf man auch den Schinderhannes.
23.
Der Räuberhauptmann als Kavalier
Ein Mädchen aus Überau brachte Wasser ins Feld zu ihren Leuten, die dort arbeiteten. Unterwegs, arn Froschloch", bekam sie es mit der Angst zu tun und wollte nicht mehr weiter gehen. Da kam ein Mann des Wegs daher, der sprach sie an, und da er einen vertrauenerweckenden Eindruck machte, gestand sie ihm die Ursache ihrer Angst: man sagte nämlich, der Schinderhannes sei in der Gegend aufgetaucht. Der Fremde bot ihr seine Begleitung bis zu dem Hundertmorgen an. Dort verabschiedete er sich artig und sagte: Wenn dich jemand nach dem Schinderhannes fragt, dann kannst du sagen, daß du ihn gesehen hast. Ich bin der Schinderhannes."
24.
Das Bubenried
a (nach den Deutschen Sagen der Brüder Grimm)
In der Groß Bieberauer Gemarkung liegt ein Tal gegen Überau zu, das nennen die Leute das Bubenried und gehen nicht bei nächtlicher Weile hindurch ohne daß ihnen die Gänsehaut ankommt. Vor Zeiten, als Krieg und Hungersnot im Reich war, gingen zwei Bettelbuben von Überau zurück, die hatten sich immer zueinander gehalten, und in dem Tal pflegten sie immer ihr Almosen zu teilen. Sie hatten heut nur ein paar Blechpfennige gekriegt, aber dem einen hatte der reiche Schulze ein Armen-laibchen geschenkt, das könne er mit seinem Gesellen teilen. Wie nun alles andre redlich geteilt war und der Bub das Brot aus dem Schubsack zog, roch es ihm so lieblich in die Nase, daß er's für sich allein behalten und dem ändern nichts davon geben wollte. Da nahm der Friede sein Ende, sie zankten sich, und von den Worten kam's zum Raufen und Balgen, und als keiner den anderen zwingen konnte, riß sich jeder einen Pfahl aus dem Pferch. Der böse Feind führte ihnen die Kolben, und jeder Bub schlug den ändern tot. Drei Nächte lang nach dem Mord regte sich kein Blatt und sang kein Vogel im Ried, und seitdem ist es da nicht geheuer, und man hört die Buben wimmern und winseln.
b (Dichter unbekannt)
Im Bubenried bei Überau
zur Nachtzeit winselt's laut,
und wer des Wegs vorrübergeht
dem schaudert's und dem graut's.
Zur Zeit, als Krieg und Hungersnot
das Land betraf so bang,
zwei Bettelbuben teilten dort
allabend ihren Fang.
Und früh am Grünendonnerstag,
Lutz erst zur Stelle war,
er zog aus seinem Bettelsack
Blechpfennige ein paar.
Der Max, der kam im schnellen Tritt
her durch des Waldes Grün,
vor Freud im blassen Angesicht
die holden Augen glüh'n.
Der reiche Schulz hat ihm geschenkt
ein warmes Laibchen Brot,
mit Deinem Freunde teile Dir's",
von Herzen kam's: Vergelt's Gott."
Der Tisch, der war ein platter Stein,
der Schiebsack lag darauf.
Sie knieteni nieder zum Gebet,
Max macht den Ranzen auf.
Komm Jesu Christ sei unser Gast
und segne in der Not,
was Du uns heut bescheret hast,
das liebe, warme Brot."
Das warme Brot so lieblich roch,
Max faßt es unverweilt,
mein ist es ganz, behalt Dein Geld,
Lutz, heut wird nicht geteilt".
Sie zankten sich, sie rauften sich,
vom Heulen scholl das Tal,
ein jeder aus dem nahen Pferch
riß einen schweren Pfahl.
Der böse Feind den Kolben führt
und neben ihrem Brot,
schlug jeder Bub, aus Hungersangst
und Gier, den ändern tot.
Drei Tage lang regt sich kein Blatt,
kein Vogel sang im Ried;
der Schäfer kam dahin,
als just die Abendsonne schied.
Er fand die Buben und er sann
den Grund zu solchem Zank;
begrub sie dann und aß das Brot
zum Totengräber Dank.
Inhalt
Grußwort 7
Geschichte und Gestalt der Kirche zu Überau 9
Die Kirche auf dem Hof der Herrn von Lißberg 9
Bauform und Bauzeit der ersten Kirche 12 Die Umgestaltung der Kirche im 15. Jahrhundert 16
Die Altäre 17
Die Malereien im Gewölbe 17
Der Tauf stein 18
Die Grabdenkmäler 19 Die Kirche von der Reformation bis zur Gegenwart 20
Orgel, Uhr und Glocken 23
Uberauer Pfarrer 18391966 26
Sagen aus Reinheim und Überau 28
Der Kettenhund am Seeweg 28
Die feurigen Kohlen vom Pechofenacker 29
Das Rötenherrchen 29
Das Klinger Kalb 29
Der Mann ohne Kopf 30
Die Geister im Schweinsgraben 30
Das Schweinsgrabenherrchen 30
Das unheimliche Fuhrwerk 30
Die Heimkehr des Rodensteiners 30
Das weiße Reh 31
Das Gespenst auf dem Marktplatz 31
Die Schlacht bei Reinheim 31
Die Schwedenschanze 3l
Das weinende Marienbild 3l
Warum die Uberauer so laute und die Reinheimer
so leise Glocken haben 31
Das Pfaffenhaus in Überau 32
Die Sankt-Barbarakirche 32
Die Trewer-Elz 32
Die schönen Knöpfe 32
Das verschwundene Dorf 32
Das Kloster bei Reinheim 32
Schinderhannes auf den Hundertmorgen 33
Der Räuberhauptmann als Kavalier 33
Das Bubenried 33
In gleicher Ausstattung erschien:
Walter Hotz Inhalt:
Die Stadtpfarrkirche zur heiligen Dreifaltigkeit 16111856
Staatsarchivdirektor Dr. Knöpp, Darmstadt:
Hauptlehrer i. R. Friedrich Höreth, Mümling-Grumbach:
Denkmalpfleger Dr. Otto Müller, Seligensbadt:
Pfarrer Friedrich Engel, Seeheim: |