Kirche, Kultur und "sonstige Einrichtungen"
Die Evangelische Kirche
800 Jahre Ueberauer Kirchengeschichte
Gerd Buggle
(Quelle: "Festschrift zur 675-Jahrfeier"; UEBERAU 675 Jahre: 1316 - 1991)
Geschichte hat wieder Konjunktur, Traditionen sind wieder gefragt. Im Spannungsbogen politischer Veränderungen wird die Frage nach dem Verhältnis von Moral und Geschichte neu gestellt. Das Bedürfnis der Menschen nach Halt und Orientierung, nach Leitfiguren und Idolen bestimmt ihr persönliches und politisches Handeln und Wirken. Gegenwartssorgen und Zukunftsängste lassen alte Mythen in neuem Gewand erstehen und erfüllen vermeintlich überholte Begriffe mit neuen Inhalten. Erst in der Auseinandersetzung mit seiner eigenen Biographie, seiner individuell erlebten Geschichte, wird ein Jugendlicher zum Erwachsenen. Erst im Prozeß der ständigen Konfrontation mit seiner eigenen Lebenswirklichkeit erwirbt der Mensch die für ihn notwendige Lebenserfahrung. Manche Fragen über Begriff, Funktion und Aufgabe der Geschichte lassen sich vor diesem Hintergrund formulieren:
Inwieweit kann der Mensch aus der Geschichte lernen" und individuell oder kollektiv erfahrene Geschichte sinnvoll in seinen Lebensprozeß einbinden?
Inwieweit kann der Mensch seine eigene Geschichte gestalten" und seine Möglichkeiten und Absichten aktiv handelnd zu Wirklichkeit werden lassen?
Inwieweit kann er damit selbstbestimmend, seiner Vergangenheit verpflichtet und für seine Zukunft verantwortlich, einen kritischen Blick für Blendwerke entwickeln, mit denen die neuen Priester der Macht ihren Kultdienst verrichten (Leszek Kolakowski)?
Wie können Forschungsergebnisse, die übergreifende Geschichtszusammenhänge zwischen historischen Strukturen und Prozessen betreffen, einer Öffentlichkeit vermittelt werden, die Geschichte als Handeln und Leiden historischer Persönlichkeiten, von Völkern und Staaten, von Siegern und Besiegten erfährt?
Wie können uns Untersuchungen elementarer Situationen und Erfahrungen, wie sie auch durch die Heimatgeschichtsforschung geleistet werden, Veränderungen davon sichtbar machen und erklären?
Wie läßt sich ein Geschichtsverständnis, das Geschichte als Bogen zwischen zeitbedingter confusio hominum" (Verwirrung der Menschen) und ewiger providentia Dei" (Vorsehung Gottes) versteht (W. Hotz), vereinbaren mit perspektivisch gedachten objektiven Aussagen, die Parteilichkeit und Dogmatismus ausschließen - oder mit der Feststellung, Objektivität in der Geschichte sei eine Illusion und ihr Gegenstand ein Phantom (Hans-Georg Gadamer)?
Ernst Blochs romantische Hoffnung: Unsere Enkel fechten's besser aus!"
sollte uns nicht davon abhalten, selbst den steinigen Weg zu gehen, der
über einen pfleglichen Umgang mit unserer Vergangenheit zu einer
lebensbewahrenden Bewältigung unserer Zukunft führt.
Ein kleiner Schritt auf diesem Weg soll von einem Neubürger, der in
Ueberau eine neue Heimat fand, gewagt werden, auch von Einheimischen ermuntert
und bei dieser Arbeit tatkräftig unterstützt.
Die oben genannten Veränderungen elementarer Situationen und Erfahrungen
lassen sich beispielhaft verdeutlichen und sichtbar machen bei der
Beschäftigung mit der Kirchengeschichte von Ueberau; der Gegenstand
der dabei gewonnenen perspektivisch gedachten Aussagen erweist sich dabei
gerade nicht als Phantom.
Herzlich danken möchte ich an dieser Stelle für die Beratung, Unterstützung und konstruktive Kritik durch Herrn Dr. Thomas Lange vom Hessischen Staatsarchiv Darmstadt und Herrn Heinz Reitz aus Reinheim. Herr Willi Buchheimer aus Ueberau hat freundlicherweise seine Photographien der Ueberauer Kirche uns zur Verfügung gestellt.
Erster Bauabschnitt
um 1200 n. Chr., spätromanische Phase
Auf Grund von Ausgrabungen, die 1939 in Verbindung mit der damaligen Restauration
durchgeführt wurden, und von Bauresten, die bei der Restauration 1965/66
gefunden wurden, läßt sich der Grundriß der ursprünglichen
Kirche rekonstruieren (siehe Abbildung 1).
Das querliegende Langhaus war 7,50 m tief und 13,50 m breit, angeschlossen
war ein 4,50 m tiefer Chorvorraum in gleicher Breite und ein (fast) quadratischer
Chor mit 4,50 m Steitenlänge.
Langhaus und Chorraum wurden durch drei Bogen getrennt, die auf zwei mittleren
gemauerten Säulen (2,30 m hoch, 1 m Schaftdurchmesser) und zwei
äußeren Wandsäulen ruhten. Die romanischen Kreuzgratgewölbe
des Chorvorraums, das niedrige rundbogige Westportal und vermutlich kleine
Rundbogenfenster trugen zu einem gedrungenen, wuchtigen und massigen
Gesamteindruck bei.
Von diesem ersten Bau stamm(t)en das Haupttor am Fuß der Kirchentreppe
(davon existiert eine Zeichnung von Oberbaurat Dr. Müller aus dem Jahr
1884, in (07), S. 289 mit dem Wersauer Türchen" verwechselt) und
das Wersauer Türchen",
in der Stützmauer an der Straße vermauert, mit langen Wetzrillen
in den Gewänden.
Auf den beiden mittleren Säulen findet man als Steinmetzzeichen Winkel,
Kreise, Hämmer, Kreuze und Halbmonde (siehe Abbildung 4). Zwei
Sakramentsnischen, 101 cm hoch und 71 cm breit, mit je zwei giebelförmigen
Platten als oberem Abschluß, in der Nord- bzw. Südwand des Chorraums
gelegen, gehörten ebenfalls zu diesem Bau.
Zweiter Bauabschnitt
um 1260 n. Chr., frühgotische Phase
Wahrscheinlich verzögerte sich die Fertigstellung des Baus. Im Chor wurden Gewölbe mit abgekanteten Rippen errichtet, er schloß rechteckig an den Konsolen mit Blattwerk und Masken ab. Der mittlere Gurtbogen wird von abgekragten Diensten getragen, deren Füße und Kapitelle mit Efeublättern belegt sind. Die beiden größeren Schlußsteine der Kreuzbögen im Chor- bzw. Chorvorraum und der kleinere Schlußstein des mittleren Gurtbogens sind mit Rosetten versehen.
Im nördlichen Joch des Chorvorraums war durch zwei Säulchen in
den Ecken der Ostwand das Podest für einen Altar angelegt. Das dazwischen
liegende Maßwerkfenster ist dreiteilg, die Fenster in der Nordwand
von Chorvorraum und Chor sind zweiteilig. Das Maßwerk der Fenster besteht
aus Kreisen mit Dreipässen, die über (im Chorvorraum mit Nasen
besetzten) Spitzbögen angeordnet sind. Die Sakramentsnische in der Nordwand
ist rechteckig und hat im linken Teil einen Ausguß. Die Südseite
war sicher ähnlich gestaltet, das südliche Joch des Chorvorraums
dürfte als Sakristei benutzt worden sein. In (07) wird diese im
nördlichen Joch vermutet.
Zwei Stufen führten vom Chorvorraum zum Schiff, beide waren durch einen
Lettner, ein hohes hölzernes Gitter, voneinander
getrennt. Das spitzbogige Westportal wurde mit einem Gewände versehen,
in dem sich zwischen zwei Rundstäben ein Birnstab befindet.
|
|
Abbildung 1: (nach [07], S. 287 Grundriß des ersten Baus
der Ueberauer Kirche (1. Hälfte des 13. Jhdt.). |
Abbildung 2: (nach [07], S. 287) Grundriß beim 2. und 3.
Bauabschnitt der Ueberauer Kirche, vgl. auch (l 1), S. 1 1 und W, S. 36. Die Erklärungen sind in (10) und (1 1) nicht angegeben. Statt 2. Hälfte 13. Jhdt. wird heute L Hälfte 13 Jhdt. angenommen. |
|
|
Abbildung 3: (aus [11 ], S. 11) Grundriß der Ueberauer Kirche
nach der letzten Renovierung 1966. |
Abbildung 4 (nach [11], S. 14), vgl. auch (07), S. 287.
Steinmetzzeichen am - Nordpfeiler (1. Zeile) - Südpfeiler (2. Zeile) - Westportal (3. Zeile, 1. Zeichen) und - Süd- und Nordportal (3. Zeile, 2. Zeichen). Das Zeichen des Westportals findet sich auch im Langhaus und an der Westseite der Stadtkirche Friedberg. |
Erste urkundliche Erwähnungen
1316 und 1399
Zum ersten Mal wird die Ueberauer Kirche in einer Urkunde erwähnt, die sich im Hessischen Staatsarchiv Darmstadt befindet (siehe Abbildung 5). Wir zitieren aus der Regestensammlung von K. E. Demandt (siehe [02]), Nr. 6310, Band IM, S. 2311):
Werner, Herr zu Lißberg, bekundet, daß Ritter Heilmann von Düdelsheim (Dudilns-) den Hof im Dorfe Überau (Oberahe), in dem die Kirche steht, mit den zugehörigen Gütern in Feld und Wald von ihm rechtens gekauft und mit seiner Zustimmung Ritter Werner von Rein hei m (Ryn-) und dessen Frau Gisela (Gyes-siln) 300 Pfd. H. nach Wittumsrecht darauf angewiesen hat. Der Ausst. bekundet, daß er Werner von Reinheim und seiner Frau sowie ihren jetzigen und künftigen Söhnen und Töchtern den gen. Hof zu Lehen gegeben hat. Wenn jedoch von Werner und Gisela und ihren Kindern keine Erben mehr vorhanden sind, fällt der Hof an die Erben des Ritters Heilmann von Düdelsheim zurück. -Sg. des Ausst. -Geg. 1316 an dem dunristag nach sente Thomas tag des zwul(f)boten." Das angegebene Datum ist der 23. Dezember 1316.
Ein weiteres Mal wird die Ueberauer Kirche in einer Urkunde von 1399 erwähnt. Bei K. E. Demandt (siehe [02], Nr. 21 76, Band l, S. 616) steht:
Godebrecht von Hoenart verkauft dem Grafen Dieter von K. den Hof zu Überau, auf dem die Kirche 28 steht (da die kirche ist), gegenüber Reinheim gelegen, den er von seinem +Bruder Albrecht geerbt hat und von Friedrich von Lißberg zu Lehen trägt, angesichts dessen, daß der von Lißberg den Hof vom Grafen besessen hat. Godebrecht leistet gegenüber dem Grafen Verzicht."
Man erkennt, daß der Übergang von Gütern, Besitzungen und
Rechten damals relativ häufig vorkam und sich darin ein Stück
Zeitgeschichte spiegeln" mag (Hotz, [11], S. 12).
Dritter Bauabschnitt
wohl um 1470 n. Chr., spätgotische Phase
Nachdem wohl Anfang des 14. Jahrhunderts Fresken-Gemälde in den vier Gewölbefeldern des Chorjochs entstanden, von denen drei 1965/66 wieder entdeckt und restauriert werden konnten (die östlich gelegene Freske war früher verloren gegangen), bildete der Hauptaltar (Herrenaltar") im Chorraum den dominierenden Mittelpunkt der Ueberauer Kirche. Er war wohl dem heiligen Jodocus (Jost), einem Pilgerheiligen des 7. Jahrhunderts, geweiht; sein Patrozinium (Namenstag) ist der 13. Dezember. Das Patronatsrecht vermutet Hotz bei den Mosbach von Lindenfels Ü11],S.17).
Im nördlichen Joch des Chorvorraums befand sich ein Marienaltar, das Gewölbe dieser Marienkapelle war mit Rosen bemalt. Vermutlich befand sich darüber ein turmartiges Obergeschoß (möglicherweise auch nur ein Dachreiter).
Welche Ereignisse in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts dazu führten, diese Reinheimer Filialkirche umzugestalten (ob sie zwischendurch eine eigenständige Pfarrkirche war, ist umstritten), ist nicht eindeutig geklärt. Hotz (siehe [11], S. 16) nimmt Zerstörung durch Krieg oder Brand an und erwähnt die Mainzer Stiftsfehde von 1461/62.
![]() |
Abbildung 5 |
Das querliegende Langhaus wurde abgetragen und neu aufgebaut, 4 m schmaler und 3 m länger. Dabei versetzte man die Westseite mit der frühgotischen Spitzbogentür. In die neuen (Nord- und Süd-) Längswände wurden jeweils zwei Maßwerkfenster und dazwischen eine Spitzbogentür eingesetzt, die von zwei tiefen Kehlen beiderseits eines Rundstabes gerahmt sind.
Das südliche Joch des Chorvorraums wurde abgerissen (nach Morgenstern [19]), Hotz nimmt für diesen Abbruch das Jahr 1653 an, (siehe [11 ], S. 21), der verbleibende Bogen zugemauert. Über dem nördlichen Joch wurde der Turm aufgeführt (oder erhöht) und mit kräftigen Strebepfeilern verstärkt. Das spitzbogige Ostfenster wurde mit einem Keilbogen unterteilt.
Der Chor wurde nach Abbruch der Ostwand um eine 3/8-Nische (Apsis) erweitert, in die drei zweigliedrige Fenster mit spätgotischen Nasen und herzförmigem Oberlicht (beim mittleren Fenster mit Fischblasen-Maßwerk) eingesetzt wurden. Das Chorgewölbe wurde mit schmalen gekehlten Rippen in die neue Nische hinein verlängert, die stumpfwinklig in den beiden östlichen Wandwinkeln auslaufen.
Vermutlich war für diesen gelungenen Umbau der Kirche der Pfarrer Johannes Gotzmann verantwortlich, der am 8. September 1480 starb und inderWersauer Kirche beigesetzt wurde. Seine 102cm x 196cm große Grabplatte, 1966 in der jetzigen Taufkapelle eingesetzt, zeigt den eingemeiselten Umriß des Pfarrers mit dem Kelch, unter einem von Säulen gehaltenen Wimperg (gotischer Ziergiebel).
In der Nordwand wurden 1939 zwei Grabdenkmäler eingemauert, 80 cm x 183 cm groß, die ein adliges ortsansässiges Ehepaar Sinolt zeigen (in den dreißiger 30 Jahren des 15. Jahrhunderts verstorben).
Reformationszeit und Dreißigjähriger
Krieg
Im Jahr 1527 wurde von Landgraf Philipp dem Großmütigen in der
Obergrafschaft Katzenelnbogen die
Reformation eingeführt.
Morgenstern (19) nimmt fürdie Kirche eine Umgestaltung zu einer
evangelischen Predigerkirche an (Beseitigung des Lettners, Aufstellung einer
Kanzel), Hotz ([10] S. 41) dagegen verweist auf einen Bericht des Reinheimer
Pfarrers Johann Justus Lantz von 1741, in dem dieser schreibt: . .
. indem die Überauer Kirch nur eine zu einem Kloster gehörige Kapell
gewesen, welche seit der Reformation Lutheri wüst gestanden .
. .". 1577 berichtet der Reinheimer Pfarrer Christoph Höver, der zwei
Jahre zuvor ein Kirchenbuch anlegte (eines der ältesten in Hessen),
von einer Dachreparatur (erste aktenmäßige Erwähnung der
Ueberauer Kirche). 1578 gibt Hans Endres von Mosbach sein Patronatsrecht
an den Altären in Reinheim und Ueberau an den Landgrafen Georg l. ab.
1617 berichtet der Reinheimer Pfarrer Ludwig Hirsch ebenfalls von einer
Dachreparatur, der Erneuerung der Friedhofsmauer und der Aufführung
der großen Treppe.
Morgenstern (19) nimmt an, die Kirche habe den Dreißigjährigen
Krieg gut überstanden, Hotz ([11 ], S. 21), dagegen erwähnt schwere
Schäden, zu deren Behebung der Reinheimer Pfarrer Johann Adolph Rühel
1653 Reparaturverträge abschloß. 1665 gab es Reparaturarbeiten,
die Dach, Fenster, Kanzel und Pflaster betrafen.
Barocke Umgestaltung
erste Hälfte des 16. Jahrhunderts
Im März 1716, Januar 1741 und Januar 1744 versuchten die Ueberauer,
durch die Einreichung von Bittschriften sich von den Reinheimern zu
lösen und einen eigenen Pfarrer zu bekommen. Sie wurden jedesmal
abschlägig beschieden, erhielten aber 1718 einen Kaplan (Diaconus,
Schulpfarrer), der in Ueberau vierzehntägig predigte. Er wohnte im
Reinheimer Schulgebäude, (Kaplanei, bis 1860 in kirchlichem Besitz,
vgl. Schröder [17], S. 56).
1721 setzt man die Kirche wieder instand. Die Westseite wird verändert
durch Abwalmung des Kirchengiebels und den Einbau der Hauptempore,
die durch zwei ovale Barockfenster belichtet wird. Nichtnurdie Nordseite
des Kirchenschiffs erhält eine Empore sondern auch der Chorraum (!),
wo 1750 die alte Reinheimer Orgel und ab 1844 eine neue Orgel ihren Platz
fanden. 1757/58 werden die Dächer nochmals gründlich erneuert.
Die Kirche im 19. und 20. Jahrhundert
Im Jahr 1819 erreichten die Ueberauer endlich ihr Ziel: sie erhielten eine
selbständige Pfarrei.
Die ersten Ueberauer Pfarrer waren Johann Philipp Heumann (1819), Konrad
Jakob Gräuel (1819-1821), Adam Förster (1821-1858, er wohnte seit
1839 in Ueberau), Karl Gustav Friedrich Schneider (1860-1876, im Jahr 1866
wurde das jetzige Pfarrhaus gebaut, Pfarrer Schneider erhielt zur Einweihung
vom 15. auf den 16. Juli eine Einquartierung aus dem achten Armeekorps,
das sich mit 37 Offizieren und 1900 Mann nach verlorenen Schlachten auf Seiten
Österreichs gegen Preußen in Ueberau aufhielt ([12], S. 52 und
[11], S. 26/27).
Der Reinheimer Pfarrer Alexander Schuchard verwaltete die Ueberauer Pfarrei
von 1866-1899. 1882 wurde die Kirche wegen Baufälligkeit geschlossen
und 1883/84 gründlich renoviert. Morgenstern (19) schreibt: Der
Turmhelm, der sich einen halben Meter zur Seite geneigt hatte, wurde abgenommen,
der massive rechteckige Turm um 2 1/2 Meter erhöht und der Turmhelm
in der alten Form wieder aufgesetzt. Da Schwamm im Gebälk des Chors
und der Holzwurm im übrigen Dachstuhl war, wurde das gesamte schadhafte
Dach erneuert und gleichzeitig die ehemalige flache Decke durch eine
erhöhte Decke ersetzt. Die Bänke wurden ausgeflickt und neu gestrichen,
das Kircheninnere ausgemalt, ein neuer Holzaltar (...) sowie die
Emporenbrüstungen und die Eichenholztüren mit neugotischen Profilfedern
und Füllungen versehen.... 1884 erhielt die Kirche auch wieder einen
neuen Außenputz..-..".
Anzumerken ist, daß die Ueberauer, um vom Oberkonsistorium einen
Zuschuß zu den Baukosten zu erhalten, zwölf Jahre lang auf einen
eigenen Pfarrer verzichten mußten. Wie die Kirche vor der
Turmerhöhung wirkte, kann man einer Photographie (siehe Seite 32) entnehmen,
die möglicherweise von 1866 stammt (18). Man erkennt darauf auch, daß
das nördliche viereckige Fenster im Turmobergeschoß erst 1883
neugotisch umgestaltet wurde. Die Photographie ist auch bei Ruppert (16),
S. 223, mit der bestimmten Datierung Juli/August 1866, jedoch ohne Quellenangabe,
abgebildet.
1899-1930 war Ludwig Storck und 1931-1948 Georg Wilhelm Sehrt Pfarrer von
Ueberau. 1939 mußte die Kirche umfassend erneuert werden. Die Orgel
wurde auf die westliche Hauptempore versetzt, der Chorraum dadurch wieder
frei. Zwei spätromanische Sakramentsnischen in der Nord- bzw.
Südwand des Chorraums konnten freigelegt werden. Im Tur-muntergeschoß
entfernte man die Glöcknerstube" und den käfigartigen
Pfarrstuhl" (Sakristei), und man ließ die beiden Grabsteine des
Sinold-Ehepaares in die Nordwand ein. Das Kirchenschiff erhielt eine
flache Decke, das gesamte Kircheninnere einen neuen Anstrich.
|
Der Ortskern von Ueberau, nach einer Photographie aus der 2.
Hälfte des 19. Jahrhunderts aus: Der Odenwald, Heft 2, S. 63, 7 977.
Der Kirchturm war damals zwei-, heute dreigeschossig. Man erkennt im Turmobergeschoß ein viereckiges Nordfenster (1883 neugotisch verändert). In der Mitte ist das Delpsche Haus zu sehen, 1898/99 entstand dort das neue Schulhaus. Das Litho stellte freundlicherweise W. Ruppert, Reinheim, zur Verfügung. |
1949-1958 war Dr. Ludwig Hahn und 1959-1963 Heinz Wecht Pfarrer von Ueberau, 1963-1976 Ewald Morgenstern und 1976-1982 Hans-Wilhelm Fronius. 1953 wurde im Turmuntergeschoß ein Taufstein aufgestellt (siehe nebenstehende Abbildung), der von Neunkirchen stammte und um den es mit den Neunkirchenern ziemlich Streit gab. Er stammt aus dem frühen 13. Jahrhundert und besitzt eine umlaufende von Stäben besetzte Kehle. Die Metallabdeckung und die Taufschüsseln mit Deckel sind aus Kupfer, der Deckel ist mit einem Kreuz versehen. Der alte Ueberauer Taufstein diente bis 1900 als Pumpentrog und Viehtränke auf einem Bauernhof, bis ihn sein Besitzer für 20 Mark an das Landesmuseum in Darmstadt verkaufte. Der Versuch, ihn zurückzubekommen, scheiterte. 1960 wurde ein neuer Altar aus Odenwälder Sandstein im Chorraum, wo bis dahin neun Doppelbankreihen standen, aufgemauert (siehe Abb. S. 34). Mit Blick auf die 650-Jahrfeier wurde ab 1962 die Kirche renoviert und restauriert. Kirchendach und Turm deckte man neu, der Turmhahn wurde neu vergoldet, das Gebälk imprägniert. An der Stelle des südlichen Jochs des Chorvorraums wurde eine Sakristei und darunter ein Heizungskeller für die neue Heizung errichtet. 1965 folgten Fundamentbefestigungen. 1966 erfolgte die Innenrenovierung (Konservierung der gefundenen Fresken im Chor, neue Fensterverglasung mit Butzenscheiben, Einbau einer neuen Orgel, Umbau der Hauptempore u. a.) Außen wurde die Kirche hell verputzt, die Kanten und Gewände dagegen abgesetzt. Für den Altar spendete die Frauenhilfe ein Bronzekruzifix, mit einem Bergkristall besetzt, und zwei Bronze-Kerzenleuchter. 1984-1987 war Karl Josef Scheuba, seit 1987 ist Klaus Weinert Pfarrer von Ueberau. |
|
Bibliographie
(01) Bernius, Adolf und Buggle, Gerd: Ueberau, Beispiele aus der
allgemeinen und Kirchen-Geschichte eines Dorfes, Gemeindebrief der Evangelischen
Kirchengemeinde Ueberau, Juli 1988. |
|