Kirche, Kultur und "sonstige Einrichtungen" - Die Evangelische Kirche
Unsere Kirche
Ewald Morgenstern, Pfarrer
(Quelle: "Festschrift und Ortsgeschichte aus Anlaß der 650-Jahrfeier der Gemeinde Ueberau/Odw. vom 2. September bis 5. September 1966)
Die Kirche zu Ueberau wird in der gleichen Urkunde von 1316 erwähnt, die von unserem Dorf selbst das erste schriftliche Zeugnis gibt. Sie war in ihrer damaligen Form bereits etwa ein halbes Jahrhundert vorher erbaut worden; auf einen noch älteren Bau deuten die beiden wuchtigen, kurz-gedrungenen Säulen hin und das romanische "Wersauer Pförtchen" in der Stützmauer zur Dorfstraße. Auf Grund von Ausgrabungen und von Bauresten, die zum Teil bei der jetzigen Renovierung wieder freigelegt wurden, können wir uns ein ziemlich genaues Bild von unserer Kirche um das Jahr 1316 machen. Der gewölbte Chorraum schloß rechteckig an den Konsolen mit den Köpfen ab, davor lag das "Priesterhaus": die Chorvorhalle als dreiwöchiges Kreuzgewölbe, dessen Rippen sich ebenso wie die Schlußsteine mit ihren Rosetten und die Konsolen mit ihrem Blattwerk durch feine Steinmetzarbeit auszeichnen. Daran schlossen sich -querrechteckig- das Hauptschiff und die beiden Seitenschiffe an, die durch zwei Arkadenbögen miteinander verbunden waren. Das "Herrenhaus" und die "Laienkirche", die eine flache Balkendecke gehabt haben mag, waren durch einen Lettner, ein hohes Gitter voneinander getrennt. Wohl um die Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert waren die drei Fresko-Gemälde in den Bogenfeldern des Chores entstanden, die bei der jetzigen Renovierung wieder entdeckt und freigelegt worden sind und von denen zwei einigermaßen gut erhalten sind, so daß sie nach ihrer Restaurierung eine besondere Kostbarkeit unserer Kirche darstellen werden. - Die Grundform der Kirche legt den Schluß nahe, daß im Chorraum der Hauptaltar, der "Herren-Altar" stand und in den Seitennischen des Chorvorraums zwei Neben-Altäre waren, im nördlichen Joch (jetzt Taufkapelle) der Marienaltar, im südlichen (wo jetzt eine Sakristei angebaut ist) - wie üblich - ein Altar, der einem Heiligen geweiht war. Unter Umständen ist dies ursprünglich der St. Jodocus- = St. Jost-Altar gewesen; später als das südliche Joch mit seinem Nebenaltar abgebrochen war, muß freilich der Hauptaltar dem Hl. Jodocus geweiht gewesen sein.
Im Laufe der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde die Kirche umgebaut, so wie sie sich uns heute noch in ihrer Grundform präsentiert. An den ursprünglich rechteckigen Chor wurde eine 3/8 - Nische angesetzt und ein feingliedriges Kreuzrippengewölbe eingezogen. Das südliche Joch des Priesterhauses wurde abgebrochen, der verbleibende Arkadenbögen zugemauert. Das nördliche Joch, in dem der Marienaltar stand, wurde belassen und nun mit einem Turm überhöht. Sämtliche Außenmauern des Kirchenschiffes wurden abgerissen und neu erbaut - 3 Meter länger und je 2 Meter schmäler. Vom ersten Bau her stammen die frühgotischen Fenster im alten Chor und in der Taufkapelle, vom Umbau her die spätgotischen Fenster in der Chornische und im Kirchenschiff. Alle tragen feines Maßwerk, die ersteren jeweils einen Dreipaß im Kreis, letztere Fischblasen, Herzformen und Kreise. Die frühgotische Spitzbogentür an der Westseite des Langhauses, die noch vom ersten Bau herrührt und mit der Westwand versetzt worden ist, hat tief gekehltes Gewände, in das zwei Rundstäbe und ein Birnstab gestellt sind. Auch die spätgotischen Spitzbogentüren an den Langseiten, von denen die südliche zugemauert und deren Profil nur von außen sichtbar ist, tragen in ihrem Gewände tiefe Kehlen und Rundstab. Bemerkenswert ist der Grabstein des im Jahr 1480 verstorbenen Pfarrers Johannes Gotzmann, der jetzt in der Taufkapelle an der Stelle in die Wand eingelassen wurde, wo einst der Marienaltar stand, "davon die von Mosbach das Patronatsrecht gehabt". Daß Pfarrer Gotzmann auf seinem Grabstein als "Pastor dieser Kirche" und nicht als Pfarrer von Reinheim bezeichnet wird, daß er ferner in der Ueberauer Kirche beigesetzt wurde und man ihm einen solch wertvollen Grabstein gewidmet hat, erklärt sich wohl daraus, daß er in Ueberau gewohnt, hier den Altardienst getan und vor allem durch den wohlgelungenen Umbau der Kirche sich besondere Verdienste erworben hatte. Zwei Grabsteine eines Herrn Sinold und seiner Frau Barbara aus der 1. Hälfte des 15. Jahrhunderts sind bereits 1939 in der Taufkapelle eingemauert worden.
Nach Einführung der
Reformation
in Ueberau 1527 wurde die Umgestaltung des zweiteiligen Gotteshauses
(Priesterhaus und Laienhaus durch den
Lettner
getrennt) zu einer evangelischen Predigtkirche
notwendig. Das Gitter wurde beseitigt und eine Kanzel an der südwestlichen
Säule des Chorvorraums aufgestellt, wo sie auch jetzt noch ihren Platz
hat. Den Dreißigjährigen Krieg scheint unsere Kirche mit ihrem
dicken Gemäuer gut überstanden zu haben. Sie verwahrloste wohl
erst in den folgenden 70 Jahren, als die Pfarrstelle verwaist war und Ueberau
sich nur langsam von den Wunden und Verheerungen des schrecklichen Krieges
erholte. Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts erwachte in unserem Dorf wieder
ein starkes kirchliches Leben. Zwar wurde auf eine Eingabe von 1716 hin von
den landgräflichen Behörden kein eigener Pfarrer zugestanden, wohl
aber seit 1718 ein Kaplan mit der Verpflichtung zum vierzehntägigen
Predigtdienst. Nun wurde auch die Kirche wieder instandgesetzt (1721), die
Dächer gründlich erneuert (1757/58), die alte Reinheimer Orgel
(1750) in den Chorraum eingebaut, wo sie freilich wie ihre Nachfolgerin von
(l 840 bis 1939) den schönsten Teil der Kirche verdeckte. Infolge des
Anwachsens der Gemeinde mußten damals auch neue Sitzplätze geschaffen
werden. Da die Kirche nicht mehr verlängert werden konnte, wurden 1723
zwei Emporen an der West- und Nordseite des Kirchenschiffes eingebaut und
die beiden ovalen Barockfenster oberhalb der Hauptempore eingesetzt, um bessere
Lichtverhältnisse zu bekommen.
Nachdem 1882 die Kirche wegen Baufälligkeit geschlossen werden mußte, wurde sie in den Jahren 1883 und 1884 einer gründlichen Renovierung unterzogen. Der Turmhelm, der sich einen halben Meter zur Seite geneigt hatte, wurde abgenommen, der massive rechteckige Turm um 2 1/2 Meter erhöht und der Turmhelm in der alten Form wieder aufgesetzt. Da Schwamm im Gebälk des Chors und der Holzwurm im übrigen Dachstuhl war, wurde das gesamte schadhafte Dach erneuert und gleichzeitig die ehemalige flache Decke durch eine erhöhte Decke ersetzt. Die Bänke wurden ausgeflickt und neu gestrichen, das Kircheninnere ausgemalt, ein neuer Holzaltar (jetzt in der Friedhofskapelle) sowie die Emporenbrüstungen und die Eichenholztüren mit neugotischen Profilfedern und Füllungen versehen. Der Grabstein von Pfarrer Gotzmann, der im Fußboden der provisorischen Sakristei neben der Glöcknerstube eingelassen gewesen war, wurde an der Wand neben der Kanzel aufgestellt. 1884 erhielt die Kirche auch wieder einen neuen Außenputz. Nur einen Plan, der allen an der Renovierung Beteiligten sehr am Herzen lag, nämlich die Orgel aus dem Chorraum zu entfernen und ihr einen neuen Platz zu geben, konnte man damals leider nicht verwirklichen, da für sie kein geeigneter Platz vorhanden war. Erst bei der Instandsetzung der Kirche im Jahr 1939 wagte man, die Orgel auf die Hautpempore zu versetzen, eine unbefriedigende Lösung zwar, aber der schöne gotische Chor mit dem Kreuzgewölbe war nun endlich wieder frei sichtbar. Dort - in Süd- und Nordwand des Chores - wurden damals auch zwei Sakramentsnischen mit giebelförmigem Abschluß freigelegt, die noch vom ersten Bau stammen. Eine zweiteilige rechteckige Sakramentnische, wovon der linke Teil mit einem Ausguß versehen ist, befindet sich im Turmuntergeschoß (Taufkapelle) und gehörte zum Marienaltar, an dem die Frühmessen gelesen und gefeiert wurden.
Im Zuge der Renovierung der Kirche im Jahre 1939 wurde eine neue flache Kassettendecke eingezogen. Die behelfsmäßige kleine Sakristei und die "Glöcknerstube" im Turmuntergeschoß - dürftige Bretterverschläge - wurden entfernt und die beiden schon erwähnten Grabsteine des Sinold-Ehepaares in die nördliche Wand eingelassen. Im übrigen beschränkte man sich auf einen neuen Anstrich des Kircheninnern.
In verhältnismäßig kurzer Zeit jedoch wies die Kirche wieder schwere Schäden auf. In der Kriegs- und Nachkriegszeit war das Dach nicht repariert worden, so daß es durch die Decke regnete und auch Feuchtigkeit in die Orgel drang. Auch von außen sickerte Wasser durch die Mauern und bedrohte gar die wuchtigen Säulen. Im Dachgebälk hatte sich der Holzbock eingenistet. Für die gründliche Renovierung der Kirche waren aber keine Mittel vorhanden. Immerhin konnte 1951 wieder eine dritte Glocke angeschafft werden. 1953 wurde ein von der Gemeinde Neunkirchen geschenkter Taufstein aus dem 14. Jahrhundert aufgestellt, der durch einen Ring, Taufschüssel und Deckel aus Kupfer vervollständigt wurde. Es sei hier angemerkt, daß der alte Ueberauer Taufstein im Jahr 1900 von seinem damaligen Besitzer, der ihn als Pumpentrog benutzt hatte, für 20 Mark an das Landesmuseum in Darmstadt verkauft worden ist, wo man ihn jetzt als Museumsstück bewundern kann. Verhandlungen mit dem Landesmuseum wegen Wiederherausgabe des Taufsteins waren 1951 fehlgeschlagen. Das Innere der Kirche konnte 1960 um einen weiteren Ausstattungsgegenstand bereichert werden, einen Altar aus Odenwälder Sandstein (Siedeslbrunn), der von Maurermeister Walter, Ueberau aufgemauert wurde.
1962 war es endlich so weit, daß mit den wichtigsten substanzerhaltenden Arbeiten begonnen werden konnte. Das gesamte Kirchendach und der Turm wurden neu gedeckt, der Turmhahn neu vergoldet und gelagert, das Gebälk wurde imprägniert, die Dachrinnen in die neue Kanalisation geleitet, der Kirchenofen, auf den man bei seiner Anschaffung 1891 sehr stolz gewesen war, durch Elektroöfen ersetzt, die freilich den großen Kirchenraum auch nicht recht heizen konnten. Erst im vorigen Jahr - 1965 - konnte eine ausgezeichnet funktionierende Heizungsanlage der Fa. Esch, Mannheim in Betrieb genommen werden, eine Warmluftumwälzheizung mit einem Ölofen. Ein hierzu notwendiger Heizungskeller und darüber eine Sakristei wurden von der Firma Enders, Dieburg an der Ecke angebaut, wo bis zum 15. Jahrhundert das südliche Joch des Chorvorraums gewesen war. Ebenfalls 1965 wurde die Grundmauer der Kirche an der Nordwestseite wegen eines immer weiter arbeitenden Risses unterfahren, der schon 1883/84 bei der damaligen Renovierung große Sorge gemacht hatte. Zusätzlich wurden im Frühjahr 1966 die Mauern durch Betonbänder befestigt.
Im Blick auf die 650-Jahrfeier unseres Dorfes und unserer Kirche wurde mit der Hauptrenovierung und Restaurierung unseres Gotteshauses gleich nach Pfingsten 1966 - nach Abbruch der altersschwachen, vom Holzwurm und der Zinnpest befallenen Orgel - zügig begonnen und nun glücklich zu Ende geführt. Unter der Leitung von Herrn Architekt Jean Pullmann, Groß-Zimmern und der Beratung durch die Bau-Abteilung der Kirchenleitung und des Denkmalspflegers Dr. Müller in Darmstadt und Herrn Pfarrer Dr. Hotz, Reinheim sind dabei folgende Arbeiten durchgeführt worden: Schreinerrneister Friedrich Rothenhäuser, Ueberau hat die Hauptempore umgebaut, wodurch ein Fenster freigelegt wurde und die Männer wieder "ihre" Empore bekommen haben, die Oberteile der Holzsäulen von den Sperrholzbrettern befreit und die fehlenden Profile neu angefertigt, die Kassetten der Decke durch je 2 Längsleisten ergänzt und der Kanzel eine kleinere Form gegeben.
Kirche und Kirchplatz um 1890
Der ebenfalls zu groß und zu wuchtig geratene Altar wurde von Steinmetz Schmitt, Siedelsbrunn in ein kleineres, besseres Maß gebracht und von Maurermeister Walter wieder aufgemauert. Auch die Sandsteinplatten, mit denen die gesamte Kirche belegt worden ist, wurden von der Firma Schmitt geliefert; verlegt hat sie Maurermeister Justus Liebig, Niedernhausen. Die Ausmalung des Kircheninnern sowie die Restaurierung der Fresken und der drei alten Grabsteine besorgte Malermeister Wölfel, Langenselbold. Die neuen bleiverglasten Kreisforrn-Fenster gestaltete Firma Münch, Groß-Umstadt.
Rundbogentür aus der Zeit vor dem 30jährigen Kriege
im Anwesen Wilhelm-Leuschner-Straße 23 (Ph. Füllhard)
Die Kirchenstühle wurden von Stuhlmachermeister Groh, Brensbach geliefert. Dir gesamte Elektro-Installation wurde von Firma K.J. Dieter, Reinheim durchgeführt; die Leuchten sind von der Firma Kusterer, Göggingen. Die Außenputz-Arbeiten machte Weißbindermeister Leonhard (Johs. ) Friedrich, Ueberau. Das neue Altarkreuz aus Bronze, mit einem Bergkristall besetzt, und die dazu passenden Bronze-Kerzenleuchter hat dankenswerterweise die Evangelische Frauenhilfe Ueberau gestiftet, den Altar-Teppich ein Gemeindeglied gespendet.
Der dreieinige Gott, an dessen Segen alles gelegen ist, schenke uns, daß unsere so schön renovierte Kirche dazu mithelfe, daß, wenn immer die Gemeinde sich darin zum Gottesdienst versammelt, sie dabei jedesmal wieder ganz neu das Evangelium höre und ernst nehme und jedesmal sich bereit machen lasse, die Kraft des Evangeliums im Alltag zu erproben. - Eine Kraft Gottes von Geschlecht zu Geschlecht. -
Ewald Morgenstern, Pfarrer